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»Mein Bruder ist im Himmel«

Nach Fabians gewaltsamen Tod fragt die Familie nach dem Warum

Von Christian Althoff
Versmold (WB). Ihre Hände krampfen sich in ein Papiertaschentuch, die Augen sind vom Weinen gerötet. »Die Frage nach dem Warum macht mich ganz fertig«, schluchzt Petra K. (23) aus Versmold (Kreis Gütersloh). Zweieinhalb Wochen ist es her, dass ihr Sohn Fabian (9) misshandelt und Stunden später umgebracht worden war - von seinem Stiefvater.

»Obwohl wir uns im vergangenen Jahr getrennt hatten, haben wir den Kontakt aufrechterhalten - wegen der Kinder«, erzählt die 23-Jährige. Ihr Ex-Verlobter Fabio R. (33) war mit der gemeinsamen Tochter Jasmin (4) nach Geesthacht gezogen, Petra K. kümmerte sich in Versmold um Fabian (9) und André (2). In den Sommerferien hatte der arbeitslose Bauschlosser seine beiden Stiefkinder zu sich nach Schleswig-Holstein geholt. Dort war es am 14. August zu dem Verbrechen gekommen: Fabio R. war nach eigener Aussage in Rage geraten, weil Fabian ihn angelogen hatte. Er verletzte den Jungen mit Tritten und Schlägen lebensgefährlich. Dann überließ er das Kind über Stunden sich selbst, bevor er es mit einem Gürtel erdrosselte. Der tote Schüler war am nächsten Morgen von seiner vierjährigen Schwester im Wohnzimmer entdeckt worden: »Jasmin erzählte mir, dass sie Fabian wecken wollte, und er ganz kalt gewesen sei«, erinnert sich die Mutter weinend.
Vor einer Woche war der Neunjährige in Versmold beigesetzt worden, nachdem das Sozialamt sich bereiterklärt hatte, die Kosten zu übernehmen. Die Klassenlehrerin und ein weiterer Lehrer waren zur Beerdigung gekommen und hatten eine Beileidskarte mitgebracht, die von Fabians Mitschülern gestaltet worden war. Mehrmals in der Woche besucht Petra K. mit ihren Kindern das Grab des Neunjährigen. »Am Tag schläft Fabian hier«, erzählt der zweijährige André. »Nachts ist mein Bruder im Himmel und passt auf uns auf!«
Dass Fabians Stiefvater derart die Kontrolle über sich verloren hat - für Petra K. ist das nicht nachzuvollziehen. »Gewalt war bei uns nie ein Thema. Im schlimmsten Fall hat ein Kind mal einen Klaps auf die Finger bekommen, wenn es partout nicht gehorchen wollte«, sagt die Mutter. Fabian habe sehr an seinem Stiefvater gehangen: »Wenn er Probleme mit den Hausaufgaben hatte, hat er immer in Geesthacht angerufen, und Fabio hat sich alle Zeit der Welt genommen«, erzählt die 23-Jährige. Ihr früherer Verlobter sei großzügig gewesen und habe die Kinder immer wieder mit Spielzeug überrascht. »Und so ein Mensch dreht durch und tötet ein Kind? Das passt doch nicht. . .«, weint Petra K. kopfschüttelnd. Die ersten Schläge und Tritte gegen den Jungen hätte man ja vielleicht noch mit einem plötzlichen Ausraster begründen können, sagt die Mutter. »Aber dass Fabio keine Hilfe für das schwerverletzte Kind geholt und Fabian Stunden später erdrosselt hat - dafür gibt es keine Erklärung und keine Entschuldigung!« Deshalb will die junge Frau im Strafprozess gegen den geständigen Täter als Nebenklägerin auftreten und eine möglichst hohe Haftstrafe fordern: »Das bin ich meinem Kind schuldig.«
Die Staatsanwaltschaft Lübeck hat gestern angekündigt, Fabio R. vor dem Prozess von einem Psychologen untersuchen zu lassen. Ob die Anklage auf Totschlag oder Mord lauten werde, könne derzeit noch nicht gesagt werden, erklärte ein Sprecher.

Artikel vom 31.08.2005