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150 Milliarden Euro ins
Ausland abgewandert

Kapitalflucht angeheizt - Banken laufen Sturm

Von Rolf Dressler
München/Berlin (WB). Noch bis zum 31. März 2005 ging es dem Staat gezielt um die Abwehr von Terror, Geldwäsche und Finanzbetrug. Seit dem 1. April aber stelle der Gesetzgeber praktisch alle Bank- und Sparkassenkunden in unerträglicher Weise unter Generalverdacht und degradiere sie zu gläsernen Bürgern.

Deshalb wendet sich das gesamte Bankgewerbe erneut nachdrücklich dagegen, dass nunmehr auch Sozialbehörden, Finanz- und Steuerämter ohne Gerichtsbeschluss und von den Betroffenen gänzlich unbemerkt jederzeit beliebig auf die insgesamt etwa 497 Millionen Giro-, Spar- und Wertpapierkonten speziell hier in Deutschland zugreifen können. Konkret also auf Konto- bzw. Wertpapierdepot-Nummer, Tag der Kontoerrichtung und Auflösung, Namen und Geburtsdaten des Kontoinhabers bzw. des Verfügungsberechtigten.
Banken- und Sparkassen-Spitzenverbände sprechen von einem »Ausspähungs- und Überwachungssystem Orwell'schen Ausmaßes«, das die 2400 Geldinstitute nach dem Willen des Gesetzgebers - auf eigene Kosten - schnellstmöglich einrichten müssen.
Voraussichtlich im Frühjahr 2006 wird es flächendeckend installiert sein - mit jährlich 45 Milliarden Zugriffsmöglichkeiten per Computernetz auf die 497 Millionen Bankkonten und Wertpapierdepots.
Laut Stephan Götzl, Präsident des Genossenschaftsverbandes Bayern der Volksbanken und Raiffeisenbanken, wollen sich die Banken und Sparkassen in Deutschland keinesfalls »zum Büttel des Staates und zum verlängerten Spitzelarm seiner Steuereintreiber machen lassen«. Zudem werde hierdurch das hohe Rechtsstaatsprinzip der Unschuldsvermutung für jeden Bürger bis zum Beweis einer tatsächlichen Schuld ausgehebelt.
Man müsse die Politiker fragen, welches Menschenbild sie eigentlich hätten, wenn sie die Instrumente, welche zur Abwehr von Terrorismus und anderer Schwerkriminalität selbstverständlich sinnvoll und konkret geboten seien, in einem Maße ausweiteten, »dass sie sich nun gegen die eigene Bevölkerung richten«.
Das sei nicht anderes als verwerfliche »Schnüffelpolitik in Reinkultur« - und Gift gerade in einer Zeit, in der unserem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem nichts so sehr fehle wie Vertrauen in die Zukunft, in die Sicherheit von Arbeitsplätzen, in die Gestaltungskraft der Politik in Deutschland überhaupt.
Genau dies machen sich indessen vor allem auch Geldinstiute im benachbarten Ausland offenbar offensiv zunutze: Bereits im ersten Vierteljahr 2005 floss dorthin ebensoviel Geldvermögen von Bankkonten Deutschland wie zuletzt im Jahre 1998, während der sehr kurzen Amtszeit des SPD-Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine, der mittlerweile auf Stimmenfang für die Linkspartei ist: exakt 150,4 Milliarden Euro.
Damit ging deutschen Banken und Sparkassen schon allein in den ersten drei Monaten 2005 mehr als doppelt so viel privates Geld verloren wie im noch ersten Quartal des Vorjahres.
Um dem wenigstens teilweise entgegenzuwirken und die Kundschaft möglichst im eigenen Hause zu behalten, eröffnen inzwischen grenznahe Geldinstitute wie beispielsweise Banken im bayerischen Berchtesgaden und in Rottal am Inn Zweigstellen in Österreich. In diesen Fällen wurde die Anleger- und Kapitalflucht praktisch gestoppt.
Dennoch bleibt der Wettbewerbsdruck bestehen. Denn im Gegensatz zu Deutschland geben andere europäische Länder dem Schutz des Bankgeheimnisses Vorrang und haben zudem auch noch ein günstigeres Steuerrecht zu bieten. Siehe die anonyme Quellensteuer in Frankreich, Österreich, Luxemburg, der Schweiz und Belgien.
Und: Massiv münzen ausländische Geldinstitute die Durchlöcherung und Fast-Beseitigung des deutschen Bankgeheimnisses in positive Werbeargumente für ihre Geschäftsfelder um.

Artikel vom 12.09.2005