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»Gerhard Schröder stemmte sich mit aller Kraft gegen das Unabwendbare - eine tragische Vorstellung.«

Leitartikel
SPD feiert Schröder

Treueschwüre
bis
zum Schluss


Von Reinhard Brockmann
Schon am Abend des gestrigen Tages fragte »Phoenix«, das ansonsten so staatstreue Bundestagsfernsehen, »Good bye, Gerd?« Und ein Heer von Journalisten wälzte am Rande des SPD-Sonderparteitages Begriffe wie »Vermächtnis«, »Abschiedsrede« und »Letzter Tango«. Nur Stunden zuvor hatte die deutsche Sozialdemokratie ihren Bundeskanzler gefeiert wie die Weltjugend den Papst in Köln. Beifall von nie gehörter Stärke und Intensität für einen, den alle immer als guten Politiker, aber nur mittelmäßigen Redner eingeschätzt hatten. Was war geschehen? Kann die Avantgarde der deutschen Sozialdemokratie, können die 2500 Eifrigsten aus der immer noch großen Volkspartei SPD so irren?
Die mediale Halbwertzeit von Parteitagsbotschaften hat sich dramatisch verkürzt. Das könnte mit dem Realitätsbezug des dargebotenen Stoffs zu tun haben. So als gäbe es keine Umfrage-Katastrophe, keine Sumpfblüten auf der extremen Linken und auch keine Fallensteller in der Partei: Bundeskanzler Gerhard Schröder beschwor gestern den scheinbar sicheren Wahlsieg und stemmte sich mit aller Kraft gegen das Unabwendbare - eine tragische Vorstellung.
500 Delegierte und 2000 Gäste feierten Schröder frenetisch, während draußen um den Konferenzort herum nie so viele Absperrgitter standen. Polizeiboote statt Ausflugsdampfer auf dem Treptow-Kanal, Demonstrationen den ganzen Tag: Drinnen und draußen - das waren zwei Welten.
Der warme Beifall, das herzanrührende Umarmen, die Blumen und die vielen Sympathieplakate: Alles ist Gerhard Schröder zu gönnen. Er hat sich reingehängt, gekämpft, sich nie geschont. Aber der Kanzler selbst weiß, dass aller Beifall wenig bedeutet.
Zweimal hat die SPD die Hartz-Reformen beschlossen, dennoch haben sie dem Kanzler politisch das Kreuz gebrochen. Niemand zögerte gestern zu applaudieren, aber die katastrophale Ausgangslage für den 18. September ließ auch die Genossen im Saal nicht unberührt. In den Reihen und Gängen des Tagungszentrums war dies durchaus zu vernehmen. In einer eigenartigen Mischung aus Offensive und absehbarer Niederlage bemerkte etwa Gernot Erler, sein Wahlkreis sei inzwischen der letzte südlich des Mains, der im Internet bei www.elections.de noch ein rotes Fähnlein zeige.
Verkehrte Welt: Bei der Sonntagsfrage elf Punkte hinter der Union und dennoch erklärt Schröder unwidersprochen, die SPD könne noch stärkste Partei werden. Erst ganz zum Schluss des Parteitages lassen die beiden Parteigranden eine Vorahnung dessen, was ihnen bevorsteht, dann doch hören. Das Ende der Arbeiterbewegung drohe, sagt Müntefering. Niemand solle hinterher klagen, er habe nicht gewusst, was mit einer anderen Regierung kommt.
Und Schröder lobt, »der Franz, der redet nicht nur von Solidarität, der lebt sie auch« - und doch klingt irgendwie das Anhängsel durch: »bis zum bitteren Ende«.

Artikel vom 01.09.2005