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Der »Schattenmann« hat einen Schutzengel

Radprofi Daniel Becke startet Samstag in Steinhagen

Von Sören Voss
Steinhagen/Erfurt (WB). Die Bilder von Jan Ullrichs »Ausritt« ins Gestrüpp bei der Tour de France 2001 kennt jeder. Fotos oder Filmaufnahmen von Daniel Beckes Rad-Unfall von der Tour 2005 gibt es gar nicht. Dabei war es ein unglaublicher Sturz.

Wenn Daniel Becke (Team Illes Balears) am Samstag in Steinhagen beim großen Preis des WESTFALEN-BLATTes in den Sattel steigt, wird der Bahn-Olympia-Sieger von Sydney 2000 die Nachwirkungen seines Unfalls immer noch spüren.
Es war die neunte Etappe der Frankreich-Rundfahrt: An diesem Sonntag sollten Jens Voigt im gelben Trikot und Tagessieger Mickael Rasmussen das Gesprächsthema sein. Den Unfall von Daniel Becke registrierte kaum jemand. Es passt zu dem Erfurter, der als Helfer nicht ungern im Schatten seiner Kapitäne steht: »Denn wenn ich zehn Interviews geben muss, fahre ich auch nicht schneller Rad.«
Auf der besagten Etappe hatte es sich der 27-Jährige im Grupetto gemütlich gemacht, er wollte Kräfte sparen. Er ist bei Balears vor allem als Zugmaschine für das Teamzeitfahren und für seine Helferdienste angesehen.
Auf einer Abfahrt fuhr Daniel Becke etwas Vorsprung auf das Feld heraus, schaute sich vor einer Kurve kurz um. Doch als er wieder nach vorne blickte, ahnte er bereits: Er hatte sich verschätzt, die Kehre war viel spitzer als gedacht. Diese Erkenntnis erreichte ihn, als er sich mit 60 Sachen einer Felswand näherte. Daniel Becke fuhr frontal in diese Wand. Er erinnert sich: »Ich bin voll eingetaucht, ungebremst. Mein Vorderrad zuerst, dann der Helm, die Schulter, mein Rücken, ich überschlage mich.« Dann blieb Becke auf der Straße liegen. »Ich wartete darauf, dass die Engelein singen.« Aber er hörte nichts. Er lebt.
Der Tourarzt war gleich zur Stelle, wollte Becke mit Verdacht auf Schulterbruch ins Krankenhaus einweisen. Das Trikot war blutverschmiert, aber Becke erhob sich, griff zum Rad. Sein Arbeitsgerät war in der Mitte durchgebrochen und bestand nun aus zwei Teilen. »Wie von einem Samurai-Schwert zerteilt.« Der Tacho war bei 57,6 km/h stehen geblieben.
Daniel Becke wollte weiterfahren, obwohl ihm alles weh tat. Der Rücken, der Hals, sein Kopf und die Zunge, auf die er sich gebissen hatte. Der Erfurter gab nicht auf. Mit einem geliehenen Rad des neutralen Materialwagens, das viel zu klein war, schleppte sich Becke schließlich ins Ziel. Im Zeitlimit. »Mein ganzes Reservoir an Glück ist vorerst verbraucht«, sagt Becke, der selbst heute, zwei Monate nach dem Sturz noch Schmerzen verspürt.
Auch das Rennen in Steinhagen wollte Becke erst absagen. Nach dem O.K. seiner Freundin komplettiert der Erfurter das Starterfeld. Neben ihm sind am Samstag ab 18.45 Uhr am Start: Jörg Ludewig (Domina Vacanze), Malte Urban (Stevens Jeantex), Grischa Niermann (Rabobank), Bruno Risi (Schweiz), Ronny Scholz (Gerolsteiner), Ralf Grabsch (Wiesenhof), Richard Faltus (Sparta Prag), Andreas Kappes (König Pilsener), Tobias Müller (RSV Unna), Jason Philipps (Australien) und Paul Voigt (RSV Gütersloh).

Artikel vom 30.08.2005