30.08.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Ausreden ändern sich,
die Probleme bleiben«

Westerwelle: Wachstumsletzter der EU muss nicht sein

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Er hat es vorhergesagt - und Guido Westerwelle ist stolz darauf: Wenn Rot-Grün NRW verliert, dann wird dieses Kapitel auch im Bund beendet.

Bei seiner letzten Kundgebung in Ostwestfalen, kurz vor der Landtagswahl im Mai, hatte der Chefliberale diese Voraussage getroffen. Gestern Abend vor wiederum gut 800 Zuhörern sagte er, wie es weiter geht nach dem 18. September: Wenn alle die, die den Wechsel wollen, auch tatsächlich wählen gehen, dann ist die Sache für ihn klar. Denn, so seine Analyse, es gibt nur eine zentrale Frage: »Wollen Sie das, was war, noch einmal verlängern oder wollen Sie einen neuen Anfang?«
In dem Fall, dass zu wenige Wähler der Mitte auch tatsächlich ihr Kreuzchen machen, stünde die SPD vor der Entscheidung Juniorpartner der CDU zu werden oder das Kanzleramt mit Grünen und PDS für sich zu retten. Da Gerhard Schröder in jedem denkbaren Szenario mit Blumen verabschiedet werde, ist für Westerwelle der Marsch in die linke Republik zwangsläufig. Außerdem: »Wer immer noch von der Großen Koalition träumt, wacht in einem linken Bündnis wieder auf.«
Westerwelle warb für eine selbstbewusste und unabhängige Wahlentscheidung. Niemand solle sich einreden lassen, dass Wachstum nicht möglich und Arbeitslosigkeit leider ein zu ertragender Dauerzustand sein müsse. Ein Blick allein auf die anderen 14 EU-Staaten aus der Zeit vor der Osterweiterung zeige, dass es anders und vor allem besser gehe. Letzter Platz beim Wirtschaftswachstum, Vorletzter bei den Schulden, das müsse nicht sein. Westerwelle: »Die Ausreden ändern sich, nur die Probleme bleiben.« Mal sei es laut Wirtschaftsminister Clement der harte Winter und demnächst vielleicht der heiße Sommer.
»Wirtschaftsfreundlich heißt nicht arbeitnehmerfeindlich«, sagte der Redner unter großem Beifall seines Publikums und verwahrte sich gegen den Kanzlervorwurf, Schwarz-Gelb gefährde den inneren Frieden Deutschlands. »Umgekehrt ist es«, rief Westerwelle emotional aufgewühlt, Millionen Arbeitslose und tausende Firmenpleiten gefährdeten die Balance der Gesellschaft.
Das Ergebnis aus sieben Jahren rot-grüner Politik sei, dass die wirklich Bedürftigen, die zu Pflegenden und Gebrechlichen auf der Strecke blieben. Was wirklich sozial ist, müsse neu gedacht werden. Auf keinen Fall gehe es allein um die möglichst kompetente Begleitung von Arbeitslosigkeit, sondern um Vorfahrt für Arbeit.
Die geplante Steuerreform, am besten nach FDP-Version mit den Tarifschritten 15, 25 und 35 Prozent, nannte er die »Mutter aller Reformen.« Einer Entlastung von 17 bis 19 Milliarden Euro stünden 35 Milliarden Euro Gegenfinanzierung gegenüber. Die Maßnahmen: Kostensenkung durch Bürokratieabbau, Schlupflöcher schließen und Subventionen streichen. Jeder möge sich einmal die lange Liste vornehmen, riet Westerwelle, und für sich entscheiden, was wirklich nötig sei: »Sie werden staunen«.

Artikel vom 30.08.2005