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Leitartikel
Armseliger Kinderbericht

Mehr Kinder und weniger Armut geht


Von Jürgen Liminski
Wer wissen will, warum denn Deutschland so kinderarm ist, der sollte den jüngsten Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung lesen. Er sollte dabei allerdings die schrillen Arien des Selbstlobs der zuständigen Politiker ignorieren und nur das Hauptergebnis zur Kenntnis nehmen.
Das lautet seit Jahrzehnten: Kinder sind ein Armutsrisiko in Deutschland. Dieses Risiko wird gegen den natürlichen Wunsch, in Familie, und mit Kindern zu leben, abgewogen und das Ergebnis ist logisch: Niemand wird gern freiwillig arm. Also gibt es weniger Kinder.
Wie gesagt, wer es wissen will. Offenbar fehlt etlichen Politikern aller Parteien dieser gute Wille. Sie wollen lieber wissen, was die Wirtschaftsführer wünschen, was die Funktionäre und Ideologen in den Verbänden und Gewerkschaften fordern oder was von ihnen bezahlte Demoskopen mit ihren ergebnisorientierten Fragen herausfiltern. Dabei sehen sie alles durch die ökonomistische Brille, messen alles am Kriterium des wirtschaftlichen Wachstums, faseln von Vereinbarkeit und glücklichen Müttern (trotz Doppelbelastung) und meinen doch nur die stille Reserve gut ausgebildeter, junger Frauen.
An das Kindeswohl denken sie nicht. Ebensowenig an die vom Verfassungsgericht schon so oft geforderte Leistungsgerechtigkeit für Familien, die man etwa durch einen Erziehungs- und Pflegelohn teilweise herstellen könnte.
Aber das lehnen führende Politikerinnen - auch in der CDU - mit der arroganten Begründung ab, ein Familiengeld würde »bildungsfernen Schichten die Entscheidung für Kinder zu sehr erleichtern«. Was für Dünkel und was für ein Misstrauen auch in das eigene Schulsystem, etwa die Ganztagsschule, die man jetzt so eilfertig propagiert!
Kein Gedanke daran, dass das Wachstum in Deutschland und Europa auch von der Kinderzahl abhängt, wie demnächst ein bedeutendes Forschungsinstitut nachweisen wird, und dass die Qualität und Quantität des so genannten Humankapitals darüber entscheidet, wie der Wohlstand aller in Zukunft aussieht. Dagegen nicken sie selbstgefällig ob ihrer kleinen Schritte für die Familien mit Kindern und vertagen die nötigen Reformen auf später, irgendwann, wenn mal wieder etwas Geld da ist. So genau braucht das ja auch niemand zu wissen.
In anderen Ländern will man mehr wissen. In Finnland oder Frankreich etwa sieht man Maßnahmen für die Familie nicht als Kosten, sondern als Investition in die Zukunft und bietet man einen ganzen Fächer finanzieller Optionen, so dass die Familien sich ihren Lebensentwurf selbst zurechtzimmern können.
Dort gibt es mehr Kinder und weniger Kinderarmut, obwohl insgesamt nicht viel mehr investiert wird. Man traut den Eltern einfach mehr zu und gibt ihnen das Geld in die Hand. Hier bei uns aber soll Vater Staat alles richten, betreuen und kontrollieren. Da darf man sich nicht wundern, dass es den Kindern und den Familien immer schlechter geht.

Artikel vom 30.08.2005