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Leitartikel
CDU-Parteitag

Der Schwung
muss bis zur
Wahl halten


Von Reinhard Brockmann
Parteitage kurz vor einer wichtigen Wahl sind grundsätzlich Hochämter zur Feier des Spitzenkandidaten. Das war gestern nicht anders bei der CDU, genau so wird es laufen am Mittwoch bei der SPD.
Dennoch sind die Großtreffen wichtig für die innere Dynamik einer Volkspartei und auch für die Ausstrahlung auf die Wählerschaft in den diesmal noch verbleibenden knapp drei Wochen.
Vieles lässt sich inhaltlich glätten, Missverständliches aus dem Stakkato der Einzelmeldungen und -meinungen ausräumen. So geschehen gestern, nachdem die designierte Sozialministerin Ursula von der Leyen Sympathie für das Elterngeld der SPD gezeigt und Ministerpräsident Christian Wullf den einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent (Kirchhof-Modell) abgelehnt hatte. Merkels Mitglieder des Kompetenzteams seien eben Köpfe, die auch schon den nächsten und den übernächsten Schritt bedächten, heißt es dann.
Die Parteibasis jubelt, sollen doch die Medien schreiben, was sie wollen.
Aber auch optisch lässt sich einiges bereinigen. So präsentierten sich Altkanzler Helmut Kohl und Angela Merkel friedlich vereint nebeneinander sitzend der Partei. Immerhin war sie es, die vor gut fünf Jahren den Sturz des Ehrenvorsitzenden eingeleitet hatte. Schon die bloße Anwesenheit des Pfälzers signaliserte: Christen sind zur Vergebung fähig, und Alles wird wieder gut.
Merkel sitzt derzeit in der Union so fest im Sattel wie noch nie. Den fast sicheren Wahlsieg vor Augen konnte sie es sogar wagen, ihren Generalsekretär ohne Gegenkandidaten mit einem Ergebnis fast wie zu DDR-Zeiten wählen zu lassen. Der Unterschied zum System Honecker: Hätte Volker Kauder weniger als 95 Prozent der Stimmen in geheimer Wahl bekommen, wären ihr Schlagzeilen wie »Intrige« und »Aufruhr« sicher gewesen.
Wie schön, dass die Luxus-Arbeiterführer im anderen Lager für Unruhe und Peinlichkeiten sorgen. Als ob irgendjemand im weiten Rund der Westfalenhalle noch von Oskar Lafontaines Doppelzüngigkeit überzeugt werden müsste, zog Edmund Stoiber vom Leder. Das mag das das Parteivolk, das brauchen die Wahlkämpfer, und das hatten sich tausende junge Wahlhelfer verdient. Sie waren direkt von ihrem Deutschlandtreffen auf Schloß Eringerfeld bei Büren nach Dortmund gekommen.
Noch ist »Angie«, deren Plakate zu Hunderten gen Saalhimmel gestreckt wurden, nicht gewählt. Deshalb gibt sich die Partei alle Mühe, die Spannung aufrechtzuerhalten. Niemand soll am Ende zu Hause bleiben, weil er sich zu sicher wähnt.
Mühelos brachte Angela Merkel gestern auch die unangenehmen Wahrheiten durchs Ziel. Einschnitte ins soziale Netz, Mehrwertsteuererhöhung, weniger Kündigungsschutz, mehr Eigenverantwortung. Alles wurde bejubelt, das ist derzeit unter Freunden so, aber auch auf den Straßen und Plätzen im Wahlkampf.

Artikel vom 29.08.2005