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Merkel sagt Nein zur Türkei

Unterstützung von Chirac - Fischer nennt Vorstoß »gefährlich blind«

Berlin/Brüssel (dpa/Reuters). Wenige Wochen vor dem geplanten Start von EU- Beitrittsverhandlungen haben die Spitzen der Unionsparteien einen neuen Vorstoß gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei unternommen.
Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber haben in einem Brief an die konservativen Regierungschefs in der Europäischen Union (EU) um Unterstützung für ihren Widerstand gegen einen EU-Beitritt der Türkei geworben.
»Wir sind der festen Überzeugung, dass eine Aufnahme der Türkei die EU politisch, wirtschaftlich und sozial überfordern und den europäischen Integrationsprozess gefährden würde«, betonten Merkel und Stoiber in dem Schreiben. Die fortdauernde Weigerung der Türkei, den EU-Mitgliedstaat Zypern überhaupt völkerrechtlich anzuerkennen, sei eine starke Belastung für die vereinbarte Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei.
Außerdem gebe es noch immer erhebliche Probleme bei der Einhaltung und Durchsetzung der Menschenrechte in der Türkei. Dennoch sollte das Land enger an die EU angebunden werden. »Dieses Ziel kann unserer Auffassung nach auf dem Weg einer Privilegierten Partnerschaft am besten erreicht werden.«
Außenminister Joschka Fischer (Grüne) reagierte scharf: »Die Haltung von Frau Merkel und Herrn Stoiber ist gefährlich blind angesichts der Zusagen, die seit 43 Jahren von deutschen Regierungen von Adenauer bis Kohl gemacht worden sind«, sagte Fischer.
Auch Frankreichs Präsident Jacques Chirac verwies auf die bisherige Weigerung der Türkei, Zypern anzuerkennen. Dies entspreche »nicht der Einstellung, die man von einem Beitrittskandidaten der Europäischen Union erwartet«. Darüber müsse in der EU noch diskutiert werden, sagte Chirac nach einem Gespräch mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Frankreichs Premierminister Dominique de Villepin machte deutlich, dass EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ohne eine Anerkennung Zyperns »nicht vorstellbar« seien.
Der Vorschlag der EU-Kommission für die Türkei-Gespräche sieht bislang bei grundsätzlicher Ergebnisoffenheit das Ziel einer EU-Vollmitgliedschaft vor. Der Verhandlungsrahmen muss einstimmig von den EU-Staaten festgelegt werden. Eine Sprecherin der EU-Kommission verwies darauf, dass der Ausgang der Türkei-Verhandlungen »völlig offen« sei.
Der Vorstoß der Union setzt darauf, dass mindestens ein EU-Land den Verhandlungsrahmen mit der Türkei, wie ihn die Kommission vorschlägt, ablehnt. Der CDU-Europaexperte Peter Hintze sagte: »Wir wollen Zieloffenheit und nicht nur Ergebnisoffenheit.« Nicht nur die Türkei, auch die EU-Seite müsse in der Lage sein, über Alternativen zur Vollmitgliedschaft zu verhandeln.
Für die Einbeziehung der Diskussion um einen EU-Beitritt der Türkei in den Wahlkampf hat sich NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) ausgesprochen. »Es ist immer vernünftig, alle Themen anzusprechen, die die Menschen interessieren«, sagte Rüttgers. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 27.08.2005