27.08.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Soll sich der Bundestag selbst auflösen können?

Diskussion nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Berlin (Reuters/dpa). Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Neuwahl mehren sich die Stimmen für ein Selbstauflösungsrecht des Bundestags. Befürworter wollen mit diesem Schritt auch einer nach ihrer Meinung drohenden Schwächung des Parlaments entgegenwirken.
Vertreter aller Parteien plädierten am Freitag allerdings für sehr hohe Hürden. Zugleich betonten sie, dass gegenwärtig kein dringender Handlungsbedarf bestehe. Gegen ein Recht zur Auflösung, das es in den Verfassungen der Bundesländer bereits seit Jahrzehnten gibt, sprachen sich unter anderem Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) aus.
Über ein Selbstauflösungsrecht des Bundestags ist schon mehrfach diskutiert worden. Nach Ansicht von Verfassungsexperten würde die Rolle des Parlaments dadurch gestärkt. Sie fordern aber ein sehr hohes Quorum, um kleine Parteien zu schützen. Auch Bundespräsident Horst Köhler hatte eine entsprechende Debatte angeregt.
Volker Beck von den Grünen hält ein Selbstauflösungsrecht für nötig, um einer Schwächung des Parlaments entgegenzuwirken. Seine Sorge sei, dass »diese Auflösung des Bundestages durch den Bundeskanzler in den tagespolitischen Instrumentenkasten rutschen könnte«, sagte der Parlamentarische Grünen-Geschäftsführer.
SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz befürchtet keine Schwächung des Bundestags. Nach der Wahl solle »in aller Ruhe« über ein Selbstauflösungsrecht diskutiert werden, betonte er. »Wir haben in allen 16 deutschen Landtagen kraft der Landesverfassung ein Selbstauflösungsrecht, warum haben wir das nicht im Bundestag?« Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) hält einen solchen Schritt nur unter hohen rechtlichen Hürden für denkbar. Er warnte vor einer Missbrauchsgefahr durch die jeweilige Bundesregierung.
Schily sagte: »Ich halte es nicht für notwendig und auch nicht für wünschenswert, dass wir ein Selbstauflösungsrecht des Bundestags einführen.« Grünen-Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele warnte: »Wenn dieses Recht dem Bundestag alleine überlassen würde, würde es die Missbrauchsgefahr erhöhen.«
Nach Meinung von NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers würde das Selbstauflösungsrecht dazu führen, dass »man zu leicht einen solchen Weg geht, wenn es eine Schwierigkeit gibt, statt jeden Versuch zu machen, zuerst mal eine Lösung der Sachprobleme herbeizuführen«. FDP-Chef Guido Westerwelle hält die Debatte für verfrüht. »Darüber sollten wir mit einiger Distanz diskutieren«.

Artikel vom 27.08.2005