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Wie kommt die Salami in den Kühlschrank?

Am 21. September ist der Welt-Alzheimer-Tag

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Die alte Dame hat eingekauft. Stunden später schaut sie in ihren Kühlschrank und ist erstaunt, dass er so gut gefüllt ist. Wie Milch, Käse und Salami wohl dort hinein gekommen sind? Und warum liegt das Telefon im Kühlschrank? Und die junge Frau, die ihr die Haare schneidet - was ist noch schnell die richtige Berufsbezeichnung für sie?

Alzheimer - das Wort ist für viele, vor allem für ältere Menschen ein Schreckgespenst. Es bedeutet für sie den geistigen Verfall bis hin zum völligen Verlust ihrer kognitiven Fähigkeiten und vollständiger Abhängigkeit. Die schlechte Nachricht: Eine Heilung ist derzeit unmöglich. Die gute: Man kann das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen. Und man kann durchaus vorbeugen - und zwar beginnend möglichst schon im mittleren Lebensalter. Am 21. September ist der Welt-Alzheimer-Tag. Er bietet jede Menge Informationen.
Ursachen einer Demenz können toxische Einflüsse sein (zum Beispiel jahrelanger Alkoholmissbrauch), können Schilddrüsenerkrankungen, Vitaminmangel, der Abbau von Nervenzellen, Entzündungen oder Gefäßerkrankungen/Schlaganfall sein. »Alzheimer«, benannt nach dem deutschen Nervenarzt Alois Alzheimer, der die Krankheit 1907 erstmals beschrieben hat, ist eine von mehreren Formen der Demenz, im Alter aber eben die häufigste Form. »Von den 80- bis 90-Jährigen ist jeder Dritte betroffen. Und in einer weiter alternden Gesellschaft steigt der Anteil der Demenzkranken«, sagt Dr. Christine Thomas, Leitende Ärztin der Abteilung für Gerontopsychiatrie im Ev. Krankenhaus Bielefeld, Gilead III. Die Abteilung ist ein Teilbereich der Klinik für Psychiatrie und umfasst einen ambulanten Bereich, eine Tagesklinik und drei Stationen. Etwa ein Drittel der Patienten, so Thomas, sind Demenzpatienten.
»Zu unseren Aufgaben gehören die Diagnostik und der Erhalt von Funktionen«, erklärt Thomas. Auch wenn die Fachleute davon ausgehen, dass der Grundstein zur Alzheimer-Demenz bereits Jahrzehnte vor dem Ausbruch gelegt wird, ist eine Diagnose erst möglich, wenn die Krankheit tatsächlich deutlich wird: Durch ein zunehmendes Gedächtnisdefizit, das begleitet wird von zum Beispiel Sprachstörungen oder Schwierigkeiten bei der Ausführung alltäglicher Handlungen.
Zwar sind bei Alzheimer-Patienten durch eine Kernspintomographie Gehirnveränderungen festzustellen - die Hirnrinde wird schmaler -, gleichwohl nutzen die Mediziner dieses bildgebende Verfahren nicht für die frühe Diagnostik. »Zum einen sind diese Verfahren noch nicht ausgereift. Zum anderen wäre das sinnlos: Wir können ohnehin nichts tun.«
Einschreiten können die Ärzte erst, wenn die Krankheit ausbricht. Dann aber ist eine frühe richtige Diagnose wichtig: um Alzheimer von einer Depression, die anders behandelt werden muss, zu unterscheiden, ebenso aber, um das Fortschreiten der Krankheit mit Hilfe von Medikamenten zu verlangsamen. »Außerdem können die Patienten dann noch mitentscheiden, wie mit ihrer Krankheit im Verlauf umgegangen werden soll«, betont Thomas.
In der Frühphase der Erkrankung sind die Betroffenen oft von Depressionen gequält: »Sie bemerken ihre Defizite.« In der mittleren Phase leben sie im Hier und Jetzt, machen keine Pläne und freuen sich nicht auf einen Urlaub, »aber ein Leben mit Lebensqualität ist ihnen möglich.« Unmöglich ist hingegen das Erlernen von Neuem: »Pauken hat keinen Sinn, verlorene Gedächtnisfunktionen können nicht zurück geholt werden«, sagt Thomas.
Die Therapie besteht für die Betroffenen neben der Gabe von Medikamenten darin, Erinnerungen und Alltagsfertigkeiten möglichst lange zu erhalten. Dazu gehört zum Beispiel das gemeinsame Kochen oder Backen, dazu gehört es, ein Erinnerungsbuch mit alten Fotos, die zum Erzählen animieren, anzulegen. »Und wenn bei einer fortschreitenden Demenz der Patient über die Sprache nicht zu erreichen ist, sind körperliche Kontakte wichtig.«

Artikel vom 15.09.2005