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Leitartikel
Karlsruhe weist den Weg

Am Wahltag hat sich's
ausgetrickst


Von Rolf Dressler
Kurz nach zehn Uhr Ortszeit sauste ein Stoßseufzer von Karlsruhe hinaus in alle deutschen Bundesländer. Denn (schon) an diesem denkwürdigen 25. August 2005 war die Entscheidung unseres ranghöchsten Gerichts heraus: Am 18. September haben wir Wähler das Wort. Die Schlussrunde des diesmal ganz ungewöhnlich kurzen Wettlaufs um Stimmen, Pünktchen und Prozente ist eröffnet.
Von Stund' an also fechten, rin- gen und rangeln vor allem die Hauptkontrahenten von Rot und Grün, Schwarz und Blaugelb nur noch für ein Ziel: für die Mehrheit im deutschen Parlament und um die Verteidigung bzw. die Rückeroberung des Kanzleramtes am Berliner Spreebogen.
Ermutigend wirkt, dass die dankenswert rasche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht etwa wilde Jubelstürme ausgelöst hat. Das gereicht den kla- geführenden Abgeordneten - Jelena Hoffmann von der SPD und dem früheren DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz von der Grünen - sehr wohl zur Ehre. Niemand kann ihnen angesichts der Karlsruher Urteilsbegründung das Verdienst bestreiten, dem Stand des frei gewählten Volksvertreters und dem Parlamentarismus genützt zu haben, zuvorderst nur dem eigenen Gewissen verpflichtet.
So trägt das weitverbreitete Magengrimmen ob der Misstrauenslist des Gerhard Schröder denn auch vielerlei illustre Namen. Und gleich gestern schon hallte aus berufenen Mündern der mahnende Ruf, dass dem Selbstauflösungsrecht des Bundestages eine neue, klarere Gestalt gegeben werden müsse. Das tut wahrlich not, um den Geruch einer »Kanzlerdemokratie« zu bannen.
Die Stimmung zugunsten vorgezogener Neuwahlen, so hatten die Kläger argumentiert, sei von oben, vom Kanzler persönlich, vorsätzlich erzeugt worden, mithin nicht vom Volk ausgegangen. Da- für spricht einiges. Umso unver- ständlicher, wozu sich ausgerechnet der sozialdemokratische Bundestagspräsident Wolfgang Thierse verstieg. Er gab den Verfassungsrichtern sofort nach der Auflösung des Bundestages unverhohlen »seine« Marschrichtung vor: Keinesfalls könne und dürfe Karlsruhe über die innere Motivation und das Gewissen von Abgeordneten befinden, »das steht Ihnen nicht zu, der Abgeordnete ist frei«, punktum! Nichts aber lag und liegt den Verfassungsrichtern ferner. Man lese dazu nur die Urteilserläuterung des Senatsvorsitzenden.
Thierse hatte seinerzeit übrigens auch noch sibyllinisch angemerkt, man dürfe sich »nicht dem Verdacht aussetzen, es werde getrickst«. Spielte er damit etwa auf Kanzler Gerhard Schröder an? Und - wie die »FAZ« philosophierte - auf dessen ausgeprägte Fer- tigkeit, an die Stelle von Fragen, die nicht zu beantworten sind oder die zu beantworten sich nicht lohnt, kurzerhand andere zu rücken, bei deren Beantwortung man zumindest nach außen hin besser aussieht? Sei's drum.
Am 18. September wird gewählt - und auch über Gerhard Schröder abgestimmt. Karlsruhe ebnete den Weg in die Zukunft.

Artikel vom 26.08.2005