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Leitartikel
Kirchhof und die CDU

Kühne Würfe haben es nicht leicht


Von Jürgen Liminski
Der Rückschlag für die Besitzstandsverteidiger in der CDU war zu erwarten. Ihr Motiv ist die Angst vor der Freiheit. »Der Staat« soll weiterhin den Ton bei der Rundum-Versorgung und auch bei dem wichtigsten Mittel der Steuerung der Lebensverhältnisse, den Steuersätzen, angeben.
Zu diesen Bedenkenträgern gehören leider auch Leute wie der saarländische Ministerpräsident Peter Müller oder sein Amtskollege Wolfgang Böhmer aus Magdeburg. Sie klammern sich an das CDU-Programm wie an einen Rettungsring, um die Woge der Freiheit, die vom Konzept des Paul Kirchhof ausgeht, zu brechen oder versanden zu lassen.
Aber die massive Kritik aus den eigenen Reihen und aus der Bevölkerung an den zu mageren familienpolitischen Inhalten des Wahlprogramms zeigt offenbar rasche Wirkung bei Angela Merkel. Erfreulicherweise hat sie sich den Vorstellungen des Steuer- und Familienexperten Paul Kirchhof angenähert. Natürlich weiß Angela Merkel: Ohne die gesellschaftspolitischen Visionen Kirchhofs könnte die CDU Gefahr laufen, sozialpolitisch mit der SPD verwechselt zu werden und gleichsam nur noch durch eine kleine C-Blüte erkennbar zu sein.
Aber auch Kirchhof weiß: Alles sofort - das ist mit dieser CDU nicht zu machen. Zuerst muss ein Mentalitätswechsel in der Partei selbst bewerkstelligt werden. Das geht nur Schritt für Schritt. Da ist zum einen der Gedanke, erst wenn die Finanzen in Ordnung gebracht seien, könne Vater Staat wieder sozial(er) zu den Familien sein. Doch schon Franz Josef Strauß hatte für diesen gedanklichen Kurzschluss einen passenden Einwurf parat: »Es ist unsinnig, einem sterbenden Volk gesunde Haushalte zu hinterlassen«.
Natürlich darf man künftige Ge- nerationen nicht zusätzlich belasten. Aber erst einmal muss es diese Generationen überhaupt geben! Die neue Politik muss geburtenfördernd sein, das geschieht zum Beispiel mit Kirchhofs Freibetrag von 8000 Euro.
Ein zweiter Denkfehler liegt in der Annahme, dass Familienpolitik ein Teil der Sozialpolitik sei. Denn hier geht es nicht um Almosen vom Staat für notleidende Familien, sondern um Leistungsgerechtigkeit. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht noch unter Federführung Kirchhofs hingewiesen. Eltern erbringen, so argumentieren die Richter, mit Zeugung und Erziehung einen generativen Beitrag, der dem finanziellen Beitrag bei den umlagefinanzierten Sozialsystemen (Rente, Pflege, Gesundheit) und auch bei der Steuer ebenbürtig ist. Damit tragen die Eltern zur Bestandserhaltung des Systems bei.
Die Beitragsfreiheit für Kinder, die die Union bei der Kopfpauschale für die Gesundheitskosten als Wohltat verkündet, ist deshalb nur eine Selbstverständlichkeit. Ebenso der längst fällige Kinderrabatt bei der Rente. Ökosteuer und Mehrwertsteuer belasten Familien aber ungleich stärker als andere. Es geht um Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft, nicht um Besitzstände. Kirchhof hat den neuen Kollegen dies und einiges mehr zu erklären.

Artikel vom 25.08.2005