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Staatsdefizit leicht geschrumpft

Deutschland verfehlt zum vierten Mal EU-Kriterien - Schuldzuweisungen

Wiesbaden (dpa/Reuters). Das deutsche Staatsdefizit ist im ersten Halbjahr geschrumpft. Die Defizitquote betrug gemessen an der Wirtschaftsleistung 3,6 Prozent. Sie lag damit deutlich niedriger als im erstem Halbjahr 2004 mit vier Prozent.

Damit steuert Deutschland nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes im laufenden Jahr auf die vierte Überschreitung der europäischen Defizitgrenze in Folge zu.
Die Einnahmen seien stärker gestiegen als die Ausgaben, begründeten die Statistiker die Entwicklung. Rückschlüsse auf das Gesamtjahr ließen sich aus der genannten Zahl nicht ziehen. Allerdings rechnen sowohl Bundesregierung als auch Opposition für 2005 bereits mit einem Defizit von deutlich über drei Prozent. Führende Unionspolitiker gaben Finanzminister Hans Eichel (SPD) dafür die Schuld. Eichel dagegen warf der Union eine Blockadepolitik beim Abbau von Steuervergünstigungen vor. Zudem zeige sich, dass für Steuersenkungen kein Spielraum bestehe, wie sie Union und FDP im Wahlkampf den Bürgern in Aussicht stellten.
Die Bundesregierung wird der EU Anfang September melden, wie sie die Defizitentwicklung sehe und auf welchem Wege die Fehlbeträge im Staatshaushalt zurückgeführt werden sollen. Eichel selbst rechnet mit einer Defizitquote von 3,7 Prozent in diesem Jahr und hält, sofern nicht einschneidende Gegenmaßnahmen möglich werden, auch für das kommende Jahr eine Überschreitung für absehbar. Nach Unterrichtung durch die Bundesregierung wird die EU-Kommission über ihr weiteres Vorgehen gegen Deutschland entscheiden. Letzte Konsequenz aus dem Defizitverfahren könnten Strafzahlungen in Milliardenhöhe sein.
Die Unionspolitiker Michael Meister, Steffen Kampeter und Michael Glos machten die rot-grüne Bundesregierung und vor allem Eichel für die schlechte Haushaltsentwicklung verantwortlich. »Ein Bundesfinanzminister, der nicht handelt, dem die Bundesfinanzen und ihre Entwicklung egal sind, der resigniert hat vor der Konsolidierungsaufgabe, ist gescheitert«, erklärte Meister. Kampeter sprach von einem Fortsetzungsroman von Verstößen gegen die Defizit- und Schuldenregelungen des Maastricht-Vertrages. »Besserung ist nicht in Sicht«, sagte er.
Glos erklärte: »Die Bewältigung von Bundeskanzler Gerhard Schröders und Eichels haushaltspolitischer Erblast wird zur politischen Schicksalsfrage der kommenden Legislaturperiode«.
Auch aus der FDP hagelte es Kritik an Eichel. »Rot-Grün ist wirtschafts- und finanzpolitisch auf der ganzen Linie gescheitert«, sagte der FDP-Finanzexperte Carl-Ludwig Thiele. Mit Nachhaltigkeit habe Eichels Politik nichts zu tun. Das überhöhte Defizit werde auch die Gesamtverschuldung Deutschland weiter erhöhen, die ohnehin schon deutlich über den EU-Grenzwert von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liege.
Thieles Fraktionskollege Jürgen Koppelin warf Eichel vor, angesichts der Haushaltsentwicklung bislang keine Haushaltssperre verhängt und keinen Nachtragsetat vorgelegt zu haben.
Eichel wies diese Kritik zurück und gab der Union die Schuld an der Defizitentwicklung. »Wir wären 2006 schon unter drei Prozent, wenn die Union nicht so blockiert hätte«, sagte er. Die Zahlen des Amtes bewegten sich ansonsten im Rahmen der von ihm erwarteten Entwicklung, sagte Eichel. Sein Sprecher ergänzte mit Blick auf die Union: »Da sitzen die falschen Ankläger.« Die neuen Defizitzahlen machten deutlich, dass es für die vom Finanzexperten im Wahlkampfteam der Union, Paul Kirchhof, und den Oppositionsparteien verfochtenen Steuersenkungen keinen Spielraum gebe. Nur Subventionsabbau führe weiter.
Der Leiter der Konjunkturabteilung des Instituts für Weltwirtschaft, Joachim Scheide, sagte: »Ich rechne in naher Zukunft nicht damit, dass Deutschland die Maastricht-Kriterien erfüllt.« Seite 4: Kommentar

Artikel vom 24.08.2005