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Diesmal ist die Stimmabgabe
ganz und gar Vertrauensfrage

TNS Emnid-Chef Schöppner: Wirtschaftskompetenz entscheidet die Wahl

Von Bernhard Hertlein
Bielefeld (WB). Die Glaubwürdigkeit der Parteien und ihre wirtschaftliche Kompetenz entscheiden über die Bundestagswahl 2005. Deshalb war es nach Ansicht von TNS Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner von der Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel »gar nicht ungeschickt«, schon vor der Wahl eine moderate Mehrwertsteuererhöhung anzukündigen.

»Lieber«, so Schöppner, seien den Wählern sicherlich so manche Ziele im SPD-Programm. Aber das größere Vertrauen hätten die Menschen in die Politikaussagen der derzeitigen Opposition. Ihre auf den ersten Blick unpopuläre Ankündigung, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um die Arbeitslosenversicherung zu senken, werde von der Mehrheit als ehrlich empfunden. Schöppner: Die Menschen wissen, dass sich Deutschland verändern muss.« Umso wichtiger sei ihnen in dieser Phase ein hohes Maß an Sicherheit.
Hingegen habe der noch amtierende Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bis heute damit zu kämpfen, dass er, so der Eindruck der Bürger, mehrere Wahlversprechen gebrochen habe: »Dafür haben sie ihn bei allen Landtagswahlen mit Ausnahme Bremens abgestraft.« Dies werde sich bei der Bundestagswahl wiederholen. Eigentlich könne Schröder nur noch ein Wunder retten - etwa ein drastischer Rückgang der Arbeitslosenzahlen. Dies sei nicht zu erwarten.
Zu groß sei der Abstand zwischen dem schwarz-gelben und dem rot-grünen Lager. Selbst einige skurile Steilvorlagen wie die Zitate von Edmund Stoiber und Jörg Schönbohm sowie Merkels Aussetzer, als sie Brutto und Netto verwechselte, hätten daran nichts geändert.
Schöppner erwartet von nun an einen sachorientierten Wahlkampf. Mit der Präsentation ihrer Mannschaft habe Merkel den Eindruck von Kompetenz bei den Wählern deutlich gestärkt. Genau das suchten die Menschen, die unter Zukunftsangst und der Angst vor Arbeitslosigkeit litten. Vielleicht seien nicht alle überzeugt, dass die derzeitige Opposition eine bessere Politik betreiben werde -ĂŠaber auf jeden Fall »eine nicht ganz so schlechte«.
So gut wie keine Auswirkung erwartet der renommierte Bielefelder Meinungsforscher vom Fernsehduell zwischen Schröder und Merkel: »Wenn es den Menschen gut geht, achten sie möglicherweise mehr auf solche Inszenierungen.« Doch diesmal seien die Sorgen und Anliegen zu ernst, als dass die Bevölkerung noch einen großen Sinn für Showelemente habe.
Opfer der Zuspitzung auf die große Vertrauensfrage könnten Schöppner zufolge die kleineren Parteien sein. Die Polarisierung werde gegen Ende des Bundestagswahlkampfes eher noch größer werden.
Die Konzentration auf Sachthemen nehme zugleich auch der neuen Linkspartei die Möglichkeit, noch mehr Protestwähler um sich zu sammeln. Schöppner sieht Gysi, Lafontaine & Co. am 18. September »eher unter zehn Prozent«. Damit stelle sie künftig mit großer Wahrscheinlichkeit immer noch die drittstärkste Fraktion. Für eine Partei, die ganz neu antrete, sei dies bei einer Bundestagswahl ein unglaublicher, fast sensationeller Erfolg. Wie bei allen Protestparteien vorher werde der Abschwung jedoch nicht lange auf sich warten lassen.

Artikel vom 23.08.2005