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»Union weiter entfernt von uns als noch vor drei Jahren«

Grünen-Chef Bütikofer erteilt Linksbündnis und CDU/CSU Absage

Von Dirk Schröder
Bielefeld (WB). Die neue Linkspartei werde in den Bundestag einziehen, langfristig jedoch keine Zukunft haben. Dieser Überzeugung ist Reinhard Bütikofer, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Im Redaktionsgespräch mit dieser Zeitung wirft er deren Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine vor, jeden Tag drei neue Wahlkampflügen zu verbreiten.

Der Grünen-Chef rechnet vor, dass die Linkspartei jährlich 180 bis 200 Milliarden Euro neue Schulden machen müsste, um die Versprechungen ihres Wahlprogramms in die Tat umzusetzen. Bütikofer: »Das ist ein nostalgisches Unternehmen, neue Ideen sind Fehlanzeige.«
Rein rechnerisch könnte zwar ein schwarz-grünes Bündnis reichen, nicht aber inhaltlich. »Die Union ist heute weiter von uns weg als vor drei Jahren.« Es gebe einige Punkte, wo die Union keine konservative Politik mehr betreibe. Bütikofer nennt die Felder Umweltpolitik, Verbraucherschutz und Kinderpolitik, die sie den Grünen überlasse. Unter der Kanzlerkandidatin Angela Merkel greife der marktradikale Kurs um sich. Angriff auf den Flächentarif sowie die Kopfpauschale führt der grüne Politiker als Beispiele an. Von der katholisch-sozialen Linie sei in der Führung niemand mehr übrig, die National-Konservativen an den Rand gedrängt.
Bütikofer begrüßt ausdrücklich Visionäre in der Politik, hält die Visionen des Finanzexperten im Wahlkampfteam der Union, Paul Kirchhof, aber für falsch. »Das ist die Vertreibung des Prinzips der Solidarität aus dem Steuerrecht.«
Bütikofer traut den Grünen zwar zu, auch in der Opposition etwas gestalten zu können. »Wir halten Opposition nicht für eine Wartehalle.« Doch in den wenigen Wochen bis zur Bundestagswahl will er für ein Mandat zur Erneuerung der rot-grünen Koalition kämpfen und verweist auf eine »ziemlich gute« Bilanz. Die Haupterfolge lägen im gesellschaftlichen Bereich sowie in der Energie- und Umweltpolitik.
Ein schwieriges Feld sei die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik gewesen. Hier habe sich die SPD schwerer getan als die Grünen. Bütikofer: »Wir haben die Debatte, wie es mit dem Sozialstaat weitergeht, früher angefangen.«
Der Grünen-Chef unterstreicht, dass man ohne weitere Reformen nicht vorankommen werde. Er setzt sich für weitere Korrekturen bei Hartz IV ein. Als weitere Reformen nennt er die zweite Stufe der Gesundheitsreform, die Bürgerversicherung - »das war unser politischer Vorschlag« - sowie die Pflegeversicherung.
Schließlich hält er es für besonders wichtig, den Weg »weg vom Öl« weiterzugehen. »Wir Grüne sind lange verlacht worden, inzwischen ist dies nicht nur unter ökologischen, sondern auch unter ökonomischen Aspekten notwendig.« Deutschland stehe vor der Schicksalsfrage, erdrosselt zu werden oder nach Auswegen zu suchen.
Mit den drei »E« - Effizienz, Einsparung und Setzen auf erneuerbare Energien - habe Deutschland es geschafft, international zum Vorbild zu werden. In der Industrie gebe es noch Einsparpotentiale von 20 Prozent, bei den privaten Haushalten sogar von 50 Prozent.
Der Grüne nennt die an den Ölpreis gekoppelten Gaspreise eine Unverschämtheit und spricht von Raubrittertum der großen Energieversorger. Bütikofer: »Die Netznutzungentgelte liegen 70 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Ich wundere mich über die Geduld der energieverbrauchenden Wirtschaft.«
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Artikel vom 24.08.2005