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Leitartikel
Verfassungsentwurf

Der Irak auf dem Weg in den Zerfall


Von Friedhelm Peiter
Im Irak vollzieht sich eine Entwicklung, die viele Pessimisten vorausgesagt haben. Dort entsteht ganz offensichtlich kein demokratischer, föderaler Staat, der als islamische Musterdemokratie Vorbild für die gesamte Region sein könnte. Der jetzt von Schiiten und Kurden vorgelegte Verfassungsentwurf würde den Kurden im Norden und den Schiiten im Süden die Möglichkeit geben, fast alle wichtigen Entscheidungen auf ihrer eigenen regionalen Ebene zu treffen und sich von der Zentralregierung in Bagdad zu lösen.
Und diese Entwicklung war absehbar. Die Zentralregierung in Bagdad war trotz enormer Unterstützung durch die Amerikaner und ihre Verbündeten nicht in der Lage, für mehr Sicherheit zu sorgen. Im Gegenteil: Der Terror hat stetig zugenommen. Die Wirtschaft kommt nicht in Schwung, es fehlen Arbeitsplätze. Wasser- und Stromversorgung fallen immer wieder für Stunden aus. Fazit: Von dieser Regierung in Bagdad erhoffen sich die Iraker - welcher Volksgruppe auch immer - nicht mehr viel.
Die Sunniten in den Mittelprovinzen des Landes, die nicht vom Ölreichtum des Landes im kurdischen Norden und im schiitischen Süden profitieren, werden sich erbittert dagegen wehren, per festgeschriebener Autonomierechte der Kurden und der Schiiten in einer Verfassung von den Öleinnahmen abgeschnitten zu werden.
Solange sich die Sunniten, die immer wieder den Aufstand gegen die ausländischen Truppen und die Übergangsregierung neu angefacht haben, an den Rand gedrängt fühlen, wird die Gewalt nicht enden.
Auch US-Präsident George W. Bush gerät in eine zunehmend schwierigere Situation. Er braucht einen politischen Erfolg im vom Terror erschütterten Irak. Die Verfassung sollte der Hebel sein, um weiter auf die Unterstützung seiner Landsleute für das Irak-Engagement bauen zu können. Bei vielen Amerikanern wird bereits die Erinnerung an den Vietnam-Krieg wieder wach, angesichts der vielen getöteten US-Soldaten nach dem Ende des Irak-Krieges und des Sturzes Saddam Husseins.
Bis morgen bleibt dem irakischen Verfassungskomitee Zeit, bei der Vielzahl noch ungelöster Probleme doch noch zu tragfähigen Kompromissen zu kommen. Allzu große Hoffnungen sollte jedoch niemand hegen, dass eine der Volksgruppen auf die Durchsetzung ihrer Interessen verzichten wird.
Es reicht eben nicht, einen Tyrannen zu stürzen wie im Irak oder die Taliban-Herrschaft zu beenden wie in Afghanistan, um der Demokratie den Weg zu ebnen. Im Irak werden langfristig die einzelnen Volksgruppen ihren eigenen Weg gehen und die Zentralgewalt in Bagdad entmachten.
Auch das Beispiel Afghanistan zeigt, dass die Macht der Zentralregierung in Kabul nicht weit über die Grenzen der Hauptstadt hinaus reicht. Die mächtigen Provinzfürsten lassen sich aus Kabul nichts befehlen.

Artikel vom 24.08.2005