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Rechnen, Lesen und das ABC

Zuckertüten, stramme Hosenböden - Erinnerung an den ersten Schultag

Von Matthias Meyer zur Heyde und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). Mile, male, mule, ich gehe in die Schule. Vielleicht hat sich Goethe wegen dieses eher flachen Reims zu der Bemerkung hinreißen lassen, wir hätten zwar Schulen, aber nichts zur wirklichen Bildung des Menschen. Oller Miesepeter! Die Schule, die heute beginnt, ist doch klasse!

Denn wie heißt's im Liede: »Bald kann ich all die tollen Sachen,/die die großen Leute machen:/Rechnen, Schreiben, Lesen und das ABC./Schön, dass ich zur Schule geh!«
So isses. Schön auch, dass es die Schultüte gibt. 1817 soll ein Glückspilz zu Jena »eine mächtige Tüte Konfekt« bekommen haben, und 1910 entsann sich ein gewisser Carl August Nestler aus Wiesa im Erzgebirge, dass wir Deutschen, wenn wir etwas machen, es auch gründlich machen, und fing an, »Zuckertüten« fabrikmäßig herzustellen.
In kleinen westdeutschen Ortschaften wurde diese schöne Sitte erst in den 50ern eingeführt: Nicht jeder konnte solch eine Tüte in die Arme schließen. Wenn doch, waren aber wenigstens Bonbons drin, nicht bloß Rosinen und Backpflaumen, wie in Ostfriesland üblich. »Mit Obst durften sie uns Blagen nicht kommen«, entrüstet sich Arno Dehle noch gut 70 Jahre später. »Auch wenn das Geld knapp war, ließen sich unsere Eltern zu solchen Gelegenheiten doch nicht lumpen«, pflichtet ihm Irmgard Wetzel (58) bei, die 1953 in Oerlinghausen eingeschult wurde.
Schokolade hin, Früchte her: Die »schlechten Zeiten« wirkten gesundheitsfördernd. Man füllte die Tüte mit Kartoffeln und legte eine dünne Schicht selbstgebackener Kekse obenauf.
Ach, die Armen! Egon Heitholt dagegen, mittlerweile 81 Jahre alt, ging einst zur Sudbrackschule und kann mit dem Lamento über Kinderarmut wenig anfangen. »Damals waren wir wirklich arm, aber gemerkt haben wir davon nichts - im Gegenteil: wir waren ausgesprochen glücklich.«
Weniger glücklich war, wem der Hosenboden stramm gezogen wurde. Auf die fachmännisch gespannte Hose ließ das Schulmeisterlein Rohrstockhiebe niedersausen, und noch früher, o Schreck, mussten kindliche Übeltäter gar auf Erbsen knien. Von dieser an Körperverletzung grenzenden Erziehungsmaßnahme berichtet man im Pädagogischen Museum, das Dr. Volker Wehrmann in der Universität unterhält - leider ist es von der Auflösung bedroht.
Auch in Senne, in der alten Osthusschule an der Friedrichsdorfer Straße, lässt sich noch »Penne von Anno Knick« bestaunen. Keine Angst: Der pensionierte Gymnasiallehrer Hans Schumacher zieht unaufmerksamen Besuchern die Ohren nicht mehr lang.
Na dann: Viel Spaß und toi, toi, toi, liebe I-Dötze!

Artikel vom 23.08.2005