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Absolute Stille,
große Begeisterung

Der Menschenfischer will noch mehr gewinnen

Von Reinhard Brockmann
Köln (WB). Eine Million Menschen können nicht schweigen? Doch! 10.25 Uhr gestern auf dem Marienfeld. Papst Benedikt XVI. spricht die ersten vier Worte: »Im Namen des VatersÉ« - und zwei Sekunden herrscht absolute Stille.
Es geht aber um mehr als »Papst-Gucken«.

Jeder der schätzungsweise eine Million Pilger hat den größten Gottesdienst aller Zeiten auf deutschem Boden anders erlebt, aber niemanden lässt er unberührt. Für Maria (16) aus Erwitte war es die totale Stille im unendlich weiten Feld der Fahnen und Köpfe. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können«, Altkanzler Helmut Kohl stimmt lautstark ein in »Großer Gott wir loben dich« und Erzbischof Stanilaw Rytko, Vatikan, strahlt: »Wir sind auf dem Höhepunkt des XX. Weltjugendtages angekommen.«
Papst Benedikt XVI. ist zuvor eine gute halbe Stunde um die Pilger herum gefahren - und hat doch nur einen Bruchteil gesehen: »Ich wäre gerne mit dem Papa-Auto über das ganze Gelände gefahren, um jedem einzelnen nahe zu sein«, ruft der in ein goldenes Messgewand gehüllte Brückenbauer (Pontifex) in den immer wieder aufbrandenden Jubel zum Beginn des Gottesdienstes hinein.
Aber die Fahrt des Papst-Fahrzeugs in geordneten Linien durch die Reihen der Gläubigen - so wie sie 1996 Johannes Paul II. vor 80 000 Gläubigen in der Senne noch möglich war - ist angesichts der nicht mehr zu haltenden Massen unmöglich. Für die Sicherheitsleute ein Albtraum, für manche Pilger eine glückliche Fügung: Wer soviel Glück und auch Findigkeit besitzt wie zum Beispiel Udo Neisens. Der steht direkt am Weg noch vor den vielen Sicherheitskräften und schaut dem vorbeifahrenden Papst vis a vis in die Augen.
Der Hövelhofer ist mit 24 Freunden von der Jungen Union aus Paderborn und Lippe kurzerhand für zwei Tage als Helfer angereist. »Volonteer« steht in breiter Schrift auf seinem Rücken. Das macht den Weg frei. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundespräsident Horst Köhler sind auch gerade vorbei gekommen. Manche Journalisten gelangen sogar ohne genaue Konrolle in den absoluten Sicherheitsbereich (Backstage), als gerade der stark vom Lehm verschmutzte Audi des Heiligen Vaters mit einer Riesenkolonne vorfährt.
Es geht aber um mehr als »Papst-Gucken«. Das wird schlagartig klar, als Benedikt XVI. mit heller Stimme zu predigen anhebt. Er stellt erneut die Eucharistie, das Abendmahl, in den Blickpunkt seiner sehr theologischen Betrachtung. Er spricht von Tod und Auferstehung, unternimmt in vier Sprachen einen philosophischen Diskurs: »Indem er Brot zu seinem Leib und Wein zu seinem Blut macht und austeilt, nimmt er seinen Tod vorweg und verwandelt ihn in einen Akt der Liebe.«
Zu schwere Kost für junge Leute, die seit Tagen kaum richtig geschlafen haben, und Menschen, die eben nicht regelmäßig den Sonntagsgottesdienst besuchen, wie Benedikt es fordert? Offenbar nicht. Viele hören konzentriert zu, manche klatschen, andere meditieren. Ganz sanft legt sich eine Wolke fast göttlicher Ruhe und Entspannung auf das Meer der Gläubigen.
Keine friedenpolitische Kundgebung, keine kämpferische Ansage, oder doch? Die von Gott gegebene Freiheit bedeute nicht »sich auszuleben und für autonom zu halten, sondern sich nach dem Maß der Wahrheit und des Guten zu richten und selbst wahr und gut zu werden«, sagt Benedikt und erfährt nur Zustimmung.
Wo zwei oder drei in seinem Namen zusammen sind, da sei schon Gott, hatte Kardinal Meisner zuvor zitiert. Angesichts von einer Million Pilgern, 800 Bischöfen, 10 000 Priestern und Gläubigen aus 193 Ländern sei Gottes Gegenwart auf dem Marienfeld »berührbar, hörbar und unbersehbar«. Dem Nachfolger des Menschenfischers Petrus ist das nur Ansporn zu mehr. Der Papst ruft die Gottesdienstteilnehmer dazu auf, ihrerseits für Christus zu werben. »Eine große Freude kann man nicht für sich behalten. Man muss sie weiter geben.« Benedikt XVI. beklagt »eine merkwürdige Gottvergessenheit in großen Teilen der Welt«, sieht auch mit Unwohlsein, dass Religion auf der anderen Seite zum Marktprodukt gerät.
Klare Worte von einem großen Denker Gottes, aber keine absoluten Vorschriften. Benedikt hat für seine jungen Zuhörer noch eine andere, seine abschließende Botschaft dabei: »Ich weiß, dass Ihr als junge Menschen das Große wollt, dass Ihr Euch einsetzen wollt für eine bessere Welt. Zeigt es den Menschen, zeigt es der Welt, die gerade auf dieses Zeugnis der Jünger Christi wartet und zuallererst durch das Zeichen Eurer Liebe den Stern entdecken kann, dem wir folgen.«

Artikel vom 22.08.2005