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Grenzen der Sprachen überwunden

Bielefelder Werner Giebner pflegt, spricht und singt Esperanto

Von Matthias Meyer zur Heyde und Hans-Werner Büscher (Foto)
Bielefeld (WB). Bonan tagon! Werner Giebner kann Menschen aus den entlegensten Ländern der Erde einen guten Tag wünschen - und man versteht ihn. Denn der 68-jährige Bielefelder spricht Esperanto.

Gerade erst ist Giebner vom 90. Weltkongress aus dem litauischen Wilna zurückgekehrt, wo 2 344 Esperantisten über die Zukunft dieser einst »Welthilfssprache«, jetzt (viel passender) Brückensprache genannten Verständigungsmöglichkeit diskutiert haben. Die stärkste Fraktion mit 467 Litauern stellten die Gastgeber, gefolgt von den Franzosen, Japanern und Deutschen (159).
»Leider sind längst nicht alle Esperanto-Sprecher organisiert«, sagt Giebner, der sich mit einer Handvoll Gleichgesinnter jeden zweiten Freitag in der Feilenstraße 4 (im Haus der »Kamera«) trifft. Wer Interesse hat, kann sich telefonisch unter 15 27 48 bei ihm melden. Immerhin weiß man, dass hierzulande 1 078 erwachsene Liebhaber dieser Sprache zum Deutschen Esperanto-Bund (DEB) gehören - allein in NRW sind es 182, außerdem 403 Jugendliche.
Giebner, der auch Mitglied der grenzübergreifenden Universala Esperanto Asocio (UEA) ist, kam über ein paar alte Heftchen, die sein Vater im Keller abgelegt hatte, mit der Sprache in Berührung und besuchte schon in den 50ern einen ersten Kurs. »Esperanto lässt sich vier- bis fünfmal leichter lernen als das ohnehin einfache Englisch«, versichert er.
Kein Wunder: Nur drei Verb-Endungen (für Vergangenheit, Präsens und Futur) lassen das Pauken der furchterregenden unregelmäßigen Verben anderer Sprachen vergessen. Simpel ist die Wortbildung: longa (lang) verkehrt sich durch die standardisierte Vorsilbe »mal« in sein Gegenteil: mallonga heißt kurz.
Und der Vorwurf, das könne man so aber nicht sagen, zielt gegenüber Esperanto-Sprechern ins Leere. Während man im Deutschen nur Sport treiben kann, tauscht der Esperantist einfach die Endung aus: Aus sporto (Sport) wird sporti (sporten). »Ein halbes Jahr genügt, dann können Sie sich auch über anspruchsvolle Themen unterhalten«, meint Giebner.
Und singen können Sie auch: Vireto en arbaro sur unu krur' - ein Männlein [steht] im Walde auf einem Bein . . . Oder lesen Sie doch mal Asterix oder Goethes »Faust« oder La Sankta Biblio, das Buch der Bücher, auf Esperanto!
Im Jahr 1887 stellte der jüdische Augenarzt Lazarus Ludwig Zamenhof (1859 - 1917) das Esperanto (wörtlich: der Hoffende) erstmals mit einem Lehrbuch vor. Zamenhof aus dem damals russischen Bialystok (heute in Polen) war es leid, dass Juden, Polen, Russen, Deutsche und Litauer zwar zusammen lebten, sich aber dem anderen kaum verständlich machen konnten. Giebner hat sich in Wilna an einen Kaffeehaustisch zu einem Norweger, einem Holländer einer Französin und einem Mann aus Togo gesetzt - und sofort gepflegte Konversation gemacht. Denn Esperanto verbindet, und dank Esperanto pflegt Giebner heute Brieffreundschaften nach Finnland und Bulgarien, nach Spanien und Ungarn.
Und mitten im Kalten Krieg auch in die kommunistische CSSR. »Ich war 1957/58 bei der Bundeswehr, als mich der Spieß zu sich rief, weil ein Brief Ýaus FeindeslandÜ eingegangen sei. Ich schwitzte Blut und Wasser, denn Umgang mit dem ideologischen Gegner war damals keine Lappalie.« Dann kam Entwarnung: Der Spieß wollte nur die außergewöhnlich schöne Briefmarke abstauben.
Ironischerweise lernte zu Beginn des 19. Jahrhunderts im gärenden Russland die Geheimpolizei Esperanto. So konnte keines der bespitzelten Opfer die Henkersknechte des Zaren verstehen . . .
In der Gegenwart hellt Esperanto wenigstens im privaten Bereich die Düsternis in der großen Politik auf: Während sich die Washingtoner Cowboys und die Mullahs von Teheran wegen möglicher Atombomben in den Haaren liegen, »gaben beim Kongress in Wilna ein Amerikaner und eine Iranerin ihre Heirat bekannt«, erzählt Giebner. Das Paar kommuniziert derzeit noch ausschließlich auf Esperanto.
Gis revido! Auf Wiedersehen!

Artikel vom 22.08.2005