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Marcel Wüst: Der Ex-Sprinter ist jetzt TV-Experte.

»Das war so steil - da juckt nichts mehr«

Ex-Radprofi Marcel Wüst zu den Schwierigkeiten und der Zukunft der Deutschland-Tour

Friedrichshafen (WB). Vor fast genau fünf Jahren verlor Radprofi Marcel Wüst bei einem Sturz im Rennen sein linkes Augenlicht. Trotzdem ist der einstige Supersprinter seinem Sport verbunden geblieben -Êals ARD-Experte und Manager der kleinen Akud-Mannschaft (GS 3). Während der Freitagsetappe der Deutschland-Tour sprach WB-Mitarbeiter Sören Voss mit dem 38-Jährigen.

Kribbelt es noch in den Beinen, wenn Sie ihren ehemaligen Kollegen bei der Arbeit zusehen? Marcel Wüst: Ich bin am Donnerstag den Anstieg zum Rettenbach-Ferner abgefahren. Der war so steil,Ê da juckt nichts mehr.

Die Deutschland-Tour ist mit der Einführung der ProTour aufgewertet worden. Wie lautet das Urteil aus der Sicht der Fahrer? Wüst: Für die Deutschen hat sie sich als Highlight nach der Tour etabliert. Dass die Rundfahrt zur Pro Tour gehört, ist schön, aber nicht wichtig. Wichtig ist, dass sich die deutschen Stars wie Ulrich, Voigt, Sinkewitz oder Ludewig den Fans hautnah präsentieren.

Kann sich die Deutschland-Rundfahrt mit der Tour de France messen?Wüst: Die Tour ist eine über Jahrzehnte gewachsene Institution, die nicht übertroffen werden kann. Im Juli sind zudem Ferien, in denen natürlich mehr Zuschauer an der Strecke stehen. Die Deutschland-Tour braucht sich aber nicht zu verstecken.

Die scheinbar nicht abreißende Kette von Dopingfällen steigert die Attraktivität des Radsports aber nicht. . .Wüst: Das ist ein heikles Thema. Ich gehe da positiv heran: Die schwarzen Schafe werden erwischt, es sind drei, vier pro Jahr. Das tut der Popularität keinen Abbruch, wenn die anderen Fahrer sauber sind.

Wer gewinnt die Deutschland-Tour?Wüst: Ich denke, dass es Levi Leipheimer oder Jan Ullrich machen. Gerolsteiner wird mit taktischen Attacken versuchen, den Vorsprung von Levi noch zu vergrößern. Wenn das nicht gelingt, wird Ulle seine Minute Rückstand beim Zeitfahren am vorletzten Tag locker aufholen.

Ein Blick voraus zur Tour de France: Wer tritt die Nachfolge von Lance Armstrong an?
Wüst: Einen Dominator wie Lance wird es zunächst nicht mehr geben, weil er sowohl psychisch als auch physisch ein Ausnahmeathlet war. Jan Ullrich ist aktuell der einzige Fahrer, der weiß, wie man eine Tour gewinnt. Ich würde mich freuen, wenn er seinen Sieg von 1997 wiederholen könnte. Ansonsten tippe ich auf Ivan Basso.

Und was trauen Sie dem Steinhagener Jörg Ludewig zu?Wüst: Wenn er seine Freiheiten hat, wird er es auch irgendwann schaffen. Ich hoffe, dass er bei T-Mobile nicht als 15. Indianer verpflichtet wurde, sondern als Jörg Ludwig. Er ist ein unglaublich sympathischer Typ, aber man darf ihn nicht verbiegen. Dann ist er für jedes Team sowohl menschlich als auch sportlich ein Gewinn.

Artikel vom 20.08.2005