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F16-Piloten schildern
erschütternde Szenen

Todesmaschine aus Zypern brachte Athen in Gefahr

Athen (dpa). »Mayday, Mayday! Aufprall, Aufprall!«, schrien F-16-Piloten, die den Irrflug der zyprischen Todesmaschine am vergangenen Sonntag bis zuletzt verfolgten. Andreas Prodromou und seine Verlobte Haris Charalambous wollten die Maschine retten.

»Ich habe die Mitschnitte der Funksprüche der F-16-Piloten gehört Sie waren erschütternd«, sagte der zyprische Präsident Tassos Papadopoulos im Fernsehen. Knapp eine Woche nach dem mysteriösen Flugzeugabsturz nahe Athen mit 121 Toten sprechen Experten immer noch von einem der »seltsamsten und eigenartigsten Unfälle der Luftfahrtgeschichte«. Doch ganz allmählich fügen sich die Puzzlestücke des Fluges ineinander. Am Freitag wurden die Auswertung des Flugschreibers und Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchungen bekannt. Außerdem fanden die Ermittler am Absturzort endlich den Stimmenrekorder.
Nach der ersten Auswertung des Flugschreibers gilt als sicher, dass wenige Minuten nach Abflug der Boeing 737-300 aus Larnaka auf Zypern die Sauerstoffmasken in der Kabine aus ihren Gehäusen fielen. Außerdem schrillte bis zum Absturz der Alarm für akuten Sauerstoffmangel. Dies jedoch erklärt nicht, warum der Co-Pilot ohnmächtig wurde und der Flugkapitän nicht im Cockpit war. Warum sie nicht ihre Sauerstoffflaschen benutzen konnten, die sich neben ihren Sitzen befanden, ist ebenfalls noch eine offene Frage.
Die Vermutung von Experten, die Piloten hätten hochgiftiges Kohlenmonoxid eingeatmet, ist seit Freitag vom Tisch. »Gewebeuntersuchungen bei sieben Leichen, darunter der des Co-Piloten, ergaben: keine Kohlenmonoxidvergiftung«, erklärte der Gerichtsmediziner Filippos Koutsáftis.
Die Boeing flog seit dem Alarm bis Athen mit eingeschaltetem Autopiloten. Drei Stunden später stürzte die Chartermaschine der Helios Airways mit leeren Tanks ab.
Als der Autopilot über dem Flugziel Athen keine neuen Befehle erhielt, leitete er automatisch ein Kreisen der Boeing über der griechischen Hauptstadt ein. In Athen herrschte mittlerweile höchste Alarmbereitschaft, weil niemand Kontakt mit der Maschine aufnehmen konnte und das Flugzeug auf dicht bewohntes Gebiet zu stürzen drohte.
Zunächst wurde eine Entführung vermutet. Zwei F-16-Kampfbomber stiegen auf und näherten sich dem Flugzeug. Ihre Piloten stellten fest: Der Flugkapitän war nicht zu sehen, der Co-Pilot ohnmächtig. In der Passagierkabine hingen die Sauerstoffmasken herab. Die Piloten sahen sahen jedoch nur drei Passagiere, die Masken aufgesetzt hatten. Eine Frau trug eine Schwimmweste und versuchte, einem Kind eine andere überzuziehen.
Eine »Gestalt«, offenbar der Steward Andreas Prodromou, der eine Pilotenlizenz für kleinere Flugzeuge besaß, versuchte, die Maschine zu fliegen. Ihm sei es schließlich gelungen, so wird in Athen vermutet, den Autopiloten auszuschalten. Danach begann ein Flugmanöver, das man sonst - so hieß es in griechischen Medien - »nur in Filmen sehen kann«.
23 Minuten lang versuchte Prodromou das Unmögliche möglich zu machen und ohne Flugerfahrung auf solchen Maschinen den Flughafen zu finden und sicher zu landen. Ein F-16-Pilot berichtete, der Mann im Cockpit habe ihm ein Zeichen »Ich gehe runter« gegeben. Nach zwei gescheiterten Versuchen und Anflugmanövern, bei denen die Maschine viel zu schnell flog, ging der Treibstoff aus, und das Flugzeug zerschellte auf einem Hügel nahe der Ortschaft Grammatikó. Bis zuletzt habe der Steward versucht, die Maschine waagerecht zu halten.
Die zyprische Staatsanwaltschaft ermittelt bereits wegen fahrlässiger Tötung in 121 Fällen gegen die Billig-Fluggesellschaft Helios wegen schlechter Wartung der Maschine.
Unterdessen ist am Freitag ein Flugzeug der zyprischen Chartergesellschaft Helios in Großbritannien nach Problemen mit den Landeklappen umgeleitet worden. Die Maschine landete anschließend sicher auf dem Londoner Flughafen Stansted. Bei der umgeleiteten Maschine mit 177 Passagieren handelt es sich um eine Boeing 737, derselbe Flugzeugtyp wie bei dem Absturz nahe Athen. Das Flugzeug war auf dem Weg von Larnaca nach London und sollte zunächst auf dem Flughafen Luton landen.

Artikel vom 20.08.2005