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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Die Kette biblischer Gestalten beginnt mit Adam. Das verleitet zu der Annahme, dieser sei - im Sinne einer geschichtliche Abfolge - der erste Mensch überhaupt gewesen, derjenige also, der als erster gelebt und gemeinsam mit seiner Frau Eva das erste Menschenpaar gebildet hätte, von dem dann alle nachfolgenden Generationen abstammen. Doch dieser Eindruck trügt. Dagegen spricht schon, daß das Wort »Adam« weniger ein Eigenname ist als vielmehr ein Begriff. Es bedeutet nämlich »Mensch« oder auch »Menschheit«. Demnach geht es nicht um einen bestimmten Menschen, der in grauer Vorzeit einmal existiert hat, sondern um den Menschen schlechthin, wie er zu allen Zeiten anzutreffen ist. Was die Bibel von Adam erzählt, steht somit nicht in Konkurrenz zu naturwissenschaftlichen Theorien über die Entwicklung der Lebewesen von ihren einfachsten Formen bis hin zu ihren komplexesten Gebilden. Daran liegt ihr nicht. Vielmehr will sie die Wirklichkeit, in welcher der Mensch lebt, erfassen und zu verstehen versuchen.
In der Ursprache der Bibel klingt aus dem Wort »Adam« sofort noch eine andere Vokabel heraus: »Erde«. »Von Erde bist du genommen; zu Erde sollst du wieder werden«, heißt es daher bis heute in der Begräbnisliturgie. Der Mensch ist ein Teil der Materie. Aber er erschöpft sich darin nicht. Sein Leben und damit seine Würde hat er vielmehr als einen Gotteshauch, den »Odem des Lebens« (1. Mose, 2, 7), mithin als ein unverdienbares, unverlierbares und damit unantastbares Geschenk unmittelbar von seinem Schöpfer empfangen.
Der Adam, von welchem im 2. und dritten Kapitel des ersten Mosebuches (Genesis) die Rede ist, weist keine markanten Konturen auf, die ihn von anderen Personen unterscheiden. Von bestimmten unverwechselbaren Charaktereigenschaften, von besonderen Begabungen, von individuellen Vorlieben erfährt man als Leser nichts. Adam läßt vielmehr typische Verhaltensweisen erkennen, wie sie sich millionenfach wiederholen.
Er ist der Mensch in seiner Verführbarkeit. Dieser erliegt dem Lockruf der Schlange - gemeint ist wohl eine innere Stimme -, die ihm einflüstert: »Ihr werdet sein wie Gott«, wenn ihr euch über die von Gott gesetzten Grenzen hinwegsetzt. Damit ist er vielleicht sehr viel weniger in seinem Hochmut angesprochen als bei seiner Angst gepackt, nur ein Mensch zu sein und nichts weiter. Es besteht keinerlei Notwendigkeit, daß es ihn gibt; er kann sein Daseinsrecht nicht selbst nachweisen. Er lebt einzig aus dem Grunde, daß Gott ihn will. Das könnte eigentlich sein Herz höher schlagen lassen, aber gerade das ist ihm zu wenig, und darum will er es nicht wahrhaben. Zwar erliegt Eva als erste dieser Versuchung; doch der Mann ist dafür nicht weniger anfällig als sie. Daß mit Eva eine zweite Person geschaffen wurde, ist Hinweis darauf, daß der Mensch immer nur als Mann oder als Frau existiert, die sich ergänzen, aber auch in einem spannungsvollen Miteinander befinden.
Betritt diese nun in der folgenden Szene, im 3. Kapitel, als erste die Bühne, so ist dem Erzähler damit eine dramaturgische Meisterleistung gelungen: Sie reicht dem Mann von der verbotenen Frucht und gibt ihm damit die Gelegenheit, sich herauszureden, die Verantwortung von sich zu weisen, sie ihr zuzuschieben und nicht nur dies. Letztlich gibt er Gott selbst die Schuld dafür, daß er sich verfehlt hat: Hätte nicht der Schöpfer die Möglichkeit geschaffen, schuldig zu werden, so wäre das Geschöpf unschuldig geblieben. »Wie kann Gott das zulassen?« wird bis heute entrüstet gefragt, wenn Menschen ihrer Unmenschlichkeit erliegen.
Die Bibel erzählt weiter, daß der Mensch sich seiner Nacktheit bewußt wird und sich ihrer schämt. Er verliert, heißt das, seine Unbefangenheit. Er geht vor seinem Schöpfer in Deckung. Aber auch zwischen ihm und seinesgleichen ist das vorbehaltlose Vertrauen gestört, wenn nicht zerstört. Menschen sind voreinander auf der Hut und wittern voneinander nichts Gutes - mit all den unvermeidlichen Folgen, die das hat.
Es ist kein schmeichelhaftes Bild, das die Bibel mit Adam (und Eva) vom Menschen entwirft. Aber es ist ein realistisches. Doch es setzt nicht außer Kraft, daß der Schöpfer seinem Geschöpf die Treue hält, und davon lebt der Mensch.

Artikel vom 20.08.2005