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Teilchen schwimmen
gezielt gegen den Strom

Uni-Physiker beweisen widersinnige Bewegung

Bielefeld (sas). Eine Kraft wirkt auf einen Körper - und der bewegt sich prompt genau entgegengesetzt. Was widersinnig klingt und die Theoretiker unter den Physikern schon lange vermuteten, haben Forscher der Uni Bielefeld nun bewiesen: Mikroteilchen können gegen den Strom schwimmen.

Bisher haben die Wissenschaftler aus der Theoretischen Physik und der Experimentellen Biophysik ihre einzigartige Entdeckung erst auf zwei Konferenzen vorgestellt - und das Staunen der Fachwelt geerntet. Gestern wurden ihre Ergebnisse im Wissenschaftsmagazin »Nature« veröffentlicht, und Prof. Dr. Peter Reimann und seine Kollegen hoffen auf positive Resonanz.
Die Bielefelder machen sich die »Brown'sche Molekularbewegung« zunutze: das Zittern kleinster Teilchen in wässriger Lösung, das bei sensiblen Untersuchungen oft als störend empfunden wird. In einem so genannten »Lab-on-a-chip«, einem Kleinstlabor zur Untersuchung geringster Flüssigkeitsmengen, konnten sie kleine Polymer-Kügelchen gegen den Strom schwimmen lassen: Sie folgten nicht der Richtung der Kraft, die auf sie wirkte, sondern bewegten sich im Gegenteil dank exakt austarierter Kraftfelder von ihr weg. Damit haben die Physiker um Reimann, Prof. Dr. Dario Anselmetti und Dr. Alexandra Ros das seit Jahrhunderten gültige Bewegungsgesetz von Sir Isaac Newton überlistet.
Mehr noch: Sie wollen dieses in Physikerkreisen »absolut negative Mobilität« genannte Phänomen positiv einsetzen - zum Beispiel in der Analytik. »Wenn ich eine Zelle oder einen Teil einer Zelle untersuchen will, habe ich viel in einer Suppe. Wie bei Aschenputtel will ich das sortieren, um dann die einzelnen Bestandteile weiter untersuchen zu können«, beschreibt Reimann das Ziel. Die von den Bielefelder Wissenschaftlern des Sonderforschungsbereichens »Physik von Einzelmolekülprozessen und molekulare Erkennung in organischen Systemen« entwickelte Methode kann dabei helfen; zum Beispiel mittels elektrischer Kräfte könnten sie Proteine (Eiweißmoleküle) oder DNA-Fragmente trennen. Ihren Laborchip hätten die Physiker gerne patentiert. »Das ging aber nicht«, bedauert Reimann: »Er gilt als Entdeckung und nicht als Erfindung.«

Artikel vom 19.08.2005