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Vom Elfmeter-Punkt aus will
Kirchhof den Ball verwandeln

Angela Merkel wirkt bei der Vorstellung ihres Kompetenz-Teams zufrieden

Von Ulrich Scharlack
Berlin (dpa). Der Überraschungskandidat kam zwar als einer der letzten auf die Bühne. Große Schwierigkeiten mit dem Rollenwechsel vom Rechtsprofessor zum Wahlkämpfer hatte Paul Kirchhof aber nicht.

Nachdem Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel gestern Mittag in der CDU-Parteizentrale jedes der neun Mitglieder ihres Wahlteams mit lobenden Worten vorgestellt hatte, ging die erste Frage natürlich an den früheren Verfassungsrichter. Mit der Benennung des 62-Jährigen hatte bis zum Vortag kaum einer in der Union gerechnet. Ob er denn als Finanzminister eine Mehrwertsteuererhöhung verantworten könne, wo er doch erst kürzlich dies noch als familienfeindlich kritisiert habe, wurde Kirchhof gefragt.
Der hoch gewachsene Wissenschaftler ging ans Mikrofon. Er habe sich den Wechsel vom Amt des Hochschullehrers »in die politische Arena der aktuellen Auseinandersetzung sehr sorgfältig überlegt«, holte Kirchhof weit aus. »Ich freue mich, an diesem Angebot an den Wähler mitwirken zu dürfen - in der Absicht, beim Wort genommen zu werden und damit bei den Wählern Vertrauen zu finden«, ließ er den Frager zunächst einmal in fein geschliffenem Juristendeutsch wissen.
Dann wurde er konkreter: Die Union habe ein Programm für eine radikale Steuerreform vorgelegt, die seinen Überlegungen durchaus nahe komme. »Und wenn sich jetzt die Chance stellt, wenn jetzt der Ball auf dem Elfmeterpunkt steht, und ich soll als Schütze antreten, dann sage ich, jawohl, diese Chance nutze ich.«
Was die Mehrwertsteuererhöhung angeht, so verwies Kirchhof darauf, dass sie letztlich auch zur Entlastung der Familien dienen sollte - ein Punkt, der ihm am Herzen liegt. Diesen Zusammenhang hatte die Union freilich bislang nicht hergestellt. Merkel und die ihren hatten immer betont, mit dem Ertrag sollten zunächst die Lohnnebenkosten gedrückt werden.
Die Schar der Frager schien von den schönen Formulierungen des Juristen so beeindruckt zu sein, dass nicht weiter nachgehakt wurde.
Auch Merkel und die anderen auf der Bühne - wie Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus oder der Regierungschef aus dem Saarland, Peter Müller - lächelten sichtlich zufrieden während Kirchhofs Kurzvorlesung. Er kann es, schien die Kandidatin zu denken.
Ob freilich Kirchhof nach einem Wahlsieg in jedem Fall Minister wird, konnte Merkel nicht versprechen. Neben ihr stand der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident, Edmund Stoiber. Und nach wie vor könnte der, wenn er wollte, jedes Ministeramt für sich beanspruchen. Aber ob er nach Berlin kommt oder nicht, will er nach wie vor nicht sagen. Fragen danach versuchte Merkel gleich zu Beginn zu begegnen: »Über Edmund Stoiber und seine Rolle haben wir gemeinsam und jeder für sich alleine oft gesprochen.«
Die Aufmerksamkeit für Kirchhof machte es Merkel und Stoiber auch leichter, über ihre jüngsten Differenzen hinweg zu reden. Merkel betonte die Einigkeit der Union. Stoiber nutzte freilich die Gelegenheit zur eigenen Rechtfertigung - ganz im Sinne der Verteidigung, er habe mit seiner Aussagen zum Wahlverhalten nicht die Ostdeutschen, sondern ausschließlich die Linkspartei gemeint. Immerhin seien die Werte für die Linkspartei zuletzt gesunken, stellte der Bayer dann fest und wollte damit wohl sagen, seine Worte hätten der Union nicht geschadet. Kurz danach ging das »Kompetenzteam« Hände schüttelnd auseinander. Wie ein alter Wahlkampf-Profi stellte sich Kirchhof zusammen mit der blonden niedersächsischen Sozialministerin Ursula von der Leyen den Fotografen.

Artikel vom 18.08.2005