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Ein Mensch der
Versöhnung
und des Trostes

Bestürzung: Frère Roger ermordet

Köln/Paris (dpa/Reuters). Mit großer Bestürzung ist gestern die Nachricht von der Ermordung des Gründers der Gemeinschaft von Taizé, Frère (Bruder) Roger, auf dem Weltjugendtag in Köln aufgenommen worden. Kardinal Karl Lehmann sprach als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz von einer »unbegreiflichen Tat«.
Frère Roger hatte sein Leben der Zusammenführung aller Christen gewidmet.

Ein Mann, der sein Leben der Botschaft Jesu von der Versöhnung aller Menschen gewidmet habe, habe ein Schicksal erlitten, das an das »gewaltsame Geschick Jesu« erinnere, sagte Lehmann in Köln. Lehmann sprach sein tiefes Beileid aus. »Ich bin gewiss, dass der Weltjugendtag in allen Gottesdiensten für unseren großen Freund und Pionier einer geistlichen Ökumene beten wird.«
Der Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner zeigte sich ebenfalls tief erschüttert. »Gerade er, auf den die Seligpreisung zutrifft: ÝSelig, die Frieden stiftenÜ, ist durch einen gewaltsamen Tod aus dem Leben geschieden«, schrieb Meisner in einem offenen Brief gestern in Köln. Auch die zum Weltjugendtag in Köln versammelten Jugendlichen würden mit großer Dankbarkeit und Trauer Frère Roger gedenken.
Der Kardinal trug sich am Nachmittag in das in der St. Agnes-Kirche ausgelegte Kondolenzbuch eintragen. Dort haben die Anhänger von Taizé ein geistliches Zentrum während des Weltjugendtages.
Der Gründer und Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, Frère Roger, war am Dienstagabend von einer offenbar geistesgestörten Frau tödlich verletzt worden. Die 36-jährige Rumänin habe den 90-jährigen Geistlichen während des Abendgebets angegriffen und ihm drei tödliche Messerstiche in den Rücken versetzt, erklärte die Polizei. Die Frau wurde festgenommen.
Mit »fassungsloser Bestürzung« hat der Ratschef der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, auf den gewaltsamen Tod von Frère Roger, reagiert. »Frère Roger war ein Mensch der Versöhnung, des Trostes und der Zuversicht aus dem Glauben«, teilte Bischof Huber gestern mit. Sein Lebensweg sei geprägt gewesen von einem tief im Glauben wurzelnden Engagement für die Ökumene.
Der Protestant Roger Schutz hatte sein Leben der Zusammenführung aller Christen gewidmet. Im August 1940 war der Schweizer mit 25 Jahren nach Frankreich aufgebrochen, um eine Gemeinschaft Gleichgesinnter zu gründen. Diese entstand im burgundischen Dorf Taizé bei Dijon.
Zehntausende Jugendliche aus ganz Europa pilgern jedes Jahr zu den Jugendtreffen nach Taizé. Für Roger galt die Gemeinschaft und die menschliche Solidarität immer mehr als alle Konfessionen. Seine Botschaft war Liebe und Einheit unter allen Menschen.
In den ersten Jahren in Burgund fanden in seinem Haus Flüchtlinge Schutz, vor allem Juden, die er vor den Nazis versteckte. Nach Kriegsende kümmerte er sich um deutsche Kriegsgefangene. Immer mehr Freunde und Gleichgesinnte schlossen sich ihm an, und 1949 legten die ersten sieben Brüder die klassischen Ordensgelübde ab.
In Taizé leben heute etwa 100 Brüder aus 25 Nationen. Im Laufe der Jahre haben Millionen Jugendliche sich mit den Themen der Gemeinschaft beschäftigt, mit Nächstenliebe, Frieden und Versöhnung.
Für seinen Einsatz für Frieden erhielt Frère Roger 1974 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 1988 den UNESCO-Preis für Friedenserziehung und 1989 den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen.

Artikel vom 18.08.2005