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Ansturm auf Lara und Co.
Bei der Computerspielemesse »Games Convention« in Leipzig blühten vier Tage lang Spielerträume
Deutschland muss mehr spielen. Das hilft gegen den Pisa-Schock und nützt außerdem dem Chef. »Gamer sind clever!«, betont Dr. Gerhard Florin und führt aus: »Sie gehen Herausforderungen im Job besonders spielerisch an und sehen den beruflichen Wettbewerb insgesamt sportlich.«
Wer regelmäßig an der Playstation 2 oder der Xbox sitze, sei »zielstrebig, risikofreudig und leistungsorientiert«. Alles das, resümiert Florin, seien Eigenschaften, die sich ein Unternehmer von seinen Mitarbeitern nur wünschen könne. Florin ist selbst ein Chef - der verantwortliche Mann des kanadischen PC- und Videospieleentwicklers Electronic Arts. Dass der ein Plädoyer für interaktive Unterhaltung abgibt, verwundert natürlich nicht. Aber er steht mit seiner Meinung bei weitem nicht allein da. Der amerikanische Organisationsforscher John Beck lobt Computerspieler als die »wichtigste Humanressource der Zukunft«. Und Bernhard Bueb, Leiter der Internatsschule Salem, kann die Begeisterung für virtuelle Helden wie Mario, Lara Croft oder Zelda gut verstehen: »Spielen weckt die schöpferischen Kräfte, es schärft die Sinne und den Verstand, es formt den Charakter und erzieht zur Verantwortung. Es lehrt, mit Sieg, Niederlage und Frustration fertig zu werden.«
Die mehr als 130 000 meist jugendlichen Besucher, die vom 18. bis 21. August die Messehallen in Leipzig stürmten, musste niemand mehr überzeugen. Keines der unzähligen Terminals, an denen bei der Games Convention die Höhepunkte der nächsten Wochen und Monate angespielt werden konnten, blieb lange verwaist. Egal ob »LA Rush«, »Mario Smash Court Football«, »Zelda: Twilight Princess« oder »Need for Speed: Most Wanted«: Der Controller ging von Hand zu Hand. Vom Tastenhämmern schmerzte mancher Daumen, aber Microsoft hatte zum Ausruhen einen Park mit plätscherndem Brunnen, Steinmauern, Holzbänken und grünem Teppich angelegt. »Die Bäume sind echt«, betonte Martin Bachmayer von Microsoft Deutsch- land.
Außerhalb des Parks blühten Spielerträume: Am Steuer von echten Formel-1-Boliden, Maseratis und Karts machten junge Männer »Schumi« Konkurrenz. Nebenan gewannen ihre Altersgenossen schon mal die kommende Fußball-Weltmeisterschaft und wieder nur ein paar Meter weiter gründeten Strategen Weltreiche oder schützten die Zivilisation vor Terroristen. Abgesehen von den Models, die viel Haut zeigten, um die Aufmerksamkeit auf die Stände ihrer Auftraggeber Activision, Ubisoft oder THQ zu lenken, waren Frauen im Publikum deutlich in der Minderheit.
Evas Töchter zog es zumeist zu den putzigen Welpen in »Nintendogs« und zu Partyspielen wie »Singstar« für die Playstation 2. Mit Produkten wie diesen konnte Sony den Frauenanteil unter den Käufern in den letzten fünf Jahren vervierfachen. Das Musikquiz »BUZZ« wendet sich an dieselbe Zielgruppe. Offensichtlich geht die Rechnung auf, denn die vier Plätze im »BUZZ-Studio« auf der Games Convention waren durchgängig in Frauenhand. Die Mädels trauten es sich zu, 5000 Fragen aus 60 Jahren Musikgeschichte zu beantworten. Titel wurden kurz angespielt, und dann blieb nur wenig Zeit, um die richtige der vier vorgegebenen Antworten zu markieren und auf den Buzzer zu hauen. Das ist doch der Hit von Aha - also schnell »Take on me« ankreuzen.
Nicht alles, was in den Messehallen zu hören war, verdiente die Bezeichnung Musik. Aufheulende Motoren, Revolverschüsse und kreischende Höllengeburten sorgten für eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse. Videospiele werden immer aufwändiger und realistischer. Und die Konsolen der nächsten Generation wie die Xbox 360 mutieren zu Alleskönnern: Musik und Kinofilme abspielen, Fotos bearbeiten, Windows-Programme nutzen, per Video-Chat mit Freunden kommunizieren, im Internet surfen: alles kein Problem.
Messen wie die Games Convention dokumentieren die Faszination, die von interaktiver Unterhaltung ausgeht. 18 Milliarden Dollar setzte die Branche 2004 weltweit mit Hard- und Software um, 2010 sollen es schon 27 Milliarden sein. In Deutschland gibt es noch Nachholbedarf: Nur in jedem zehnten Haushalt steht eine Playstation, eine Xbox oder ein Gamecube. Dagegen sind in den USA 40 Prozent der Haushalte »versorgt«.
Egal ob Nordrhein-Westfalen oder Kalifornier: Spielen sollen sie überall. Deshalb stellten Nintendo und Sony ihre tragbaren Geräte, den DS und die PSP, bei der Präsentation in Leipzig in den Mittelpunkt.
Die mobile Revolution im Kleinformat ist angelaufen. Eine Konsole im Zimmer, eine in der Jackentasche: Deutschland soll mehr spielen, fordert die Branche. Warum nicht, wenn wir dadurch klüger werden und die Wirtschaft brummt. Dietmar Kemper
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Artikel vom 27.08.2005