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Trümmerfrauen und
Widerstandskämpfer

»Fiktive Dokumentation«: »Heroes«-Rundgang, Teil 5

Von Ruth Matthes (Text)
und Jörn Hannemann (Fotos)
Herford (WB). James Nachtweys ebenso treffende wie fesselnde Kriegsfotografien, eine Vitrine mit Erinnerungsstücken an Marlene Dietrich, Berichte über Raumfahrer Jurij Gagarin, Jan Ullrichs gelbes Trikot und ein Buch, das einmal Sophie Scholl gehörte - im letzten Teil der Ausstellung »(my private) Heroes« erhalten die Helden ganz konkrete Gesichter. »Fiktive Dokumentation« hat Jan Hoet diesen Raum im Lippoldbau überschrieben.

Einige der Exponate erheben zunächst den Anschein des objektiv Dokumentarischen, doch stets finden sich subjektive Aspekte - bei den Fotografen wie bei den Künstlern, die historische Aufnahmen ganz bewusst inszenieren und verfremden. Fiktion und Realität verbinden sich.
Den anonymen Helden, den Opfern der Kriege, den Frauen, die zu Hause für das Überleben der Familie kämpfen, hat James Nachtwey in seinen Bildern ein Denkmal gesetzt. Der amerikanische Fotograf ist mit einigen Aufnahmen vertreten, die in ihrem Aufbau höchst künstlerisch sind und die Schrecken des Krieges, unter anderem in Grozny, auf den Punkt bringen. Auch Altmeister Robert Capa durfte nicht fehlen: Von ihm zeigt Hoet das berühmte Foto »Der fallende Soldat«, das Capa 1936 an der Cordoba-Front in Spanien schoss.
Von den Schauplätzen der Kriege wandert die Ausstellung zu Fazal Sheikhs faszinierendem Portrait einer Anführerin der Frauen eines somalischen Flüchtlingslagers und weiter zu Alberto Cordas Castro-Bildern. Barbara Klemms Aufnahme einer Studentendemo 1970 in Frankfurt, Wolf Vostells Installation zum Thema Trümmerfrauen (»Millionen I«) und C. O. Paeffgens Vergrößerung eines Willy-Brandt-Fotos im Stil der späten Pop-Art geben neben anderen Arbeiten Einblicke in die jüngere deutsche Geschichte.
Den Helden des Sports, der Musik und der Kunst ist fast eine ganze Wand gewidmet. Hier finden sich Fotografien des Ausnahmeathleten und »Tour de France«-Stars Lance Armstrong, der auch ein Sieger über den Krebs ist (von Chris Anderson) und des Musikers Louis Armstrong (Robert Longo), das bekannte Bild von Picasso mit zwei fingerförmigen Broten vor sich auf dem Tisch (Robert Doisneau), ein riesiges Portrait von Joseph Beuys (Rony Heirman) und ein kleineres von Marcel Duchamp. »Richard Hamilton hat diesen Kunstrevolutionär, seiner Bescheidenheit entsprechend, hinter den konzentrischen Ringen aus dessen Meisterwerk ÝDas große GlasÜ fotografiert«, erklärt Kurator Dr. Michael Kröger, der wesentlich an der Konzeption dieses Raum beteiligt war.
»Die Vitrine mit »Spiegel«-Titeln gibt einen Eindruck davon, wie die Medien es im 20. Jahrhundert geschafft haben, ein bestimmtes Bild des Helden zu prägen«, erläutert er. »Er ist in erster Linie durch sein Gesicht zu identifizieren, das uns von Titelseiten entgegensieht.« Diese Prominenten werden in der Ausstellung Menschen gegenüber gestellt, die nicht durch ihre Medienpräsenz, sondern durch ihre Leistung zu Helden wurden: die Widerstandskämpferin Sophie Scholl, sowie Kurt Gerstein und Anne Frank.
Stellvertretend für alle Herforder Helden hat sich Jan Hoet Otto Weddigen ausgesucht. Sechs Exponate aus der städtischen Sammlung erinnern an den U-Boot-Kapitän, der im Ersten Weltkrieg drei britische Panzerkreuzer versenkte und als großer Seeheld gefeiert wurde.
Diesen realen Personen der Zeitgeschichte hat Jan Hoet mit drei Videos, Günther Förgs Masken-Reihe, Luc Tuymans »Flugzeug«-Gemälde, Ilja und Emilia Kabakovs Skulptur »Der ewige Emigrant« und Paul Klees rätselhafter Zeichnung »Held mit dem Flügel« einen Kontrapunkt entgegen gesetzt. »Klee entmystifiziert den Helden, indem er ihn mit einem kurzen Flügel und einem Bein, das aus der Erde wächst, darstellt«, erläutert Kröger. Ein Wesen zwischen Erde und Himmel, das nach Höhenflügen strebt, aber doch an seine irdische Existenz gefesselt ist.
l  Die Ausstellung ist noch bis zum 21. August einschließlich täglich von 11 bis 18 Uhr geöffnet.

Artikel vom 17.08.2005