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Kern eines ganzen Jahrhunderts

Christa-Maria Amelung schrieb Hans-Werner Huths Erinnerungen auf

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Vom Geschichtsstudium der jüngeren Tochter über die erste Idee (»schreib doch mal dein Leben auf«) bis zum Buch war der Weg nicht allzu weit: Mit Hilfe der versierten Autorin Christa-Maria Amelung hat Hans-Werner Huth seine Biographie veröffentlicht.

Spannende Erzählungen, tief empfundene Gedichte aus einer untergegangenen Zeit, viele liebe Fotos: Das Buch »Meine Reise in die Vergangenheit« war ursprünglich als familiäre Erinnerungsschrift gedacht: »Ich wollte den ganzen Schlamassel für meine Nachkommen aufzeichnen«, sagt Huth, der in bewegter Zeit - und in umkämpftem Land - aufwuchs. Doch das Erzählte weist über den privaten Rahmen hinaus, in nuce spiegelt sich die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts in diesem individuellen Leben: aufschlussreiche Lektüre natürlich für die Töchter und Enkel des fast 80-jährigen Wahlbielefelders, aber nicht nur für Vertriebene und ihre Nachkommen, sondern für den historisch interessierten Bürger schlechthin.
1925 in Landsberg geboren, in Stennewitz, Blumbergerbruch und Filehne groß geworden, erfuhr der Förstersohn ganz unmittelbar, was Kriege, völkischer Dünkel und willkürliche Grenzziehungen den Menschen antun; der ältere Bruder fiel, als Hans-Werner Huth zum Reichsarbeitsdienst einrückte. Dass es auch anders geht, hat er in seiner glücklichen Kindheit im deutsch-polnischen Siedlungsgebiet erlebt, und so nimmt die Schilderung des traditionellen ländlichen Alltags zwischen den verheerenden Kriegen breiten Raum ein. Und ohne Scheu vor Verfehlungen beider Seiten berichtet er genauso offen von seiner Mitgliedschaft in HJ und NSDAP wie von der Gleichgültigkeit der Polen in der Kommandantur, in der sein Vater wenige Stunden vor der besorgten Nachfrage spurlos verschwunden war.
»Die Lektüre umfangreicher Poststapel aus dem Nachlass meiner Mutter hat mir die Arbeit erleichtert«, berichtet Huth. »So mancher Brief war meiner Erinnerung eine wertvolle Stütze.« Christa-Maria Amelung, die mit ihren diskreten Biographien Huth für sich einnahm, goss das Erzählte in ansprechende sprachliche Form. »Wir haben viele, nicht immer einfache Gespräche geführt, die lange verschüttet Geglaubtes wieder aufrührten«, sagt die ehemalige Sozialpädagogin, die dank ihres Studiums der Literaturwissenschaft und Theologie für die Arbeit geradezu prädestiniert ist.
Denn nicht zuletzt der christlich-religiöse Aspekt liegt Hans-Werner Huth am Herzen: »Ich möchte meinen Angehörigen und allen Lesern gerne vermitteln, dass die Gewissheit, in Gott geborgen zu sein, Vertrauen schafft, ohne das man die Untiefen und Stromschnellen des Lebens kaum bewältigen kann«, erklärt der ehemalige Kanusportler seine Grundüberzeugung in bilderstarken Worten. »Öfter als einmal habe ich einen Schutzengel gespürt.«
Fragile Jugendidylle, Kriegswüten mit Fronteinsatz in Italien, Verwundung und Gefangenschaft, Neuanfang in Bielefeld in der Firma Dr. Oetker - auf seiner Reise in die Vergangenheit hat Hans-Werner Huth so manchen Bahnhof angefahren und den Zug der Zeit an überraschend gestellten Weichen neue Richtungen einschlagen sehen. Denn auch in vielfach märchenhaft sicher erscheinenden Perioden, in den 60er und 70er Jahren, wollte das Leben gemeistert sein.
1976 verlor Hans-Werner Huth seine geliebte Ursula durch Krebs. Elf Jahre später erst war die Einsamkeit endlich vorbei. »Das Buch wird sicher bei der Feier seines 80. Geburtstags am 1. November ein großes Thema sein«, sagt Huths Lebensgefährtin Eva-Maria Widera.
»Jetzt habe ich Lust auf eine Fortsetzung des Buches«, sagt der 79-Jährige. Was spräche auch dagegen? Hans-Werner Huth jedenfalls hat noch viel zu erzählen.
Christa-Maria Amelung (Verf. und Hg.): Hans-Werner Huth - Meine Reise in die Vergangenheit; aus der Reihe »Memoria Vitae« in der Edition Octopus (Verlagshaus Monsenstein) 2005, ISBN 3-86582-130-8; 138 Seiten, 12,50 Euro.

Artikel vom 19.08.2005