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Umsteuern in der Familienpolitik

Expertenkommission fordert die Bündelung aller Hilfen in einer Hand

Berlin (dpa/Reuters). Führende Familienexperten haben ein Umsteuern in der Familienpolitik verlangt. In ihrem gestern an die Bundesregierung übergebenen 7. Familienbericht unterstützen sie die SPD-Forderungen nach einem Elterngeld als Lohnersatz.

Sie befürworten ferner eine Bündelung aller Familienhilfen von Staat und Kommunen sowie einen flexibleren Wechsel zwischen Beruf und anderen nützlichen Tätigkeiten wie die Familienbetreuung. »Familienpolitik auf allen Ebenen gehört in eine Hand«, sagte der Vorsitzende der Expertenkommission, Hans Bertram.
Familien sollten nach Einschätzung der Expertenkommission von Städten wie Unternehmen behandelt werden. »Kommunen sollten Familien als Investoren wie Wirtschaftsunternehmen sehen«, sagte der Familiensoziologe Bertram weiter.
Gerade Großstädte verlören Familien mit Kindern und sollten daher möglichst nur eine Anlaufstelle für alle Familienbelange haben.
Familienministerin Renate Schmidt (SPD) begrüßte das »fast visionäre Konzept« der Wissenschaftler. Sie unterstützte dabei das Ziel, längerfristig alle familienbezogenen Leistungen zu einer »Familienkasse« zusammenzuführen. »Das wird allerdings nicht in zwei oder drei Jahren geschehen«, fügte sie hinzu. Mit einem Elterngeld, bei dem berufstätige Väter oder Mütter ihr Gehalt vorübergehend vom Staat erhalten, könnte dem finanziellen »Achterbahn-Effekt« junger Familien wirksam begegnet werden, meinte Bertram. Dieses Konzept setze sich zunehmend in Europa durch, so auch in Frankreich und Großbritannien.
In dem 500 Seiten starken Familienbericht wird auch ein »Optionszeitenmodell« vorgeschlagen. Dabei sollen Berufstätige sich vorübergehend vom Beruf freistellen lassen können, um sich der Familie, ihrer Weiterbildung oder anderen gesellschaftlich nützlichen Tätigkeiten widmen zu können. »Das sehr starre Lebenslaufsystem in Deutschland muss überwunden werden«, sagte Kommissionsmitglied Helga Krüger. Die Familie mit beiden Eltern als Erwerbstätige müsse zur Regel werden.
Bertram betonte,
es müsse auch Anreize geben, dass Frauen etwa schon während ihres Studiums Kinder bekämen. Andernfalls überschneide sich die Gründungsphase einer Familie mit der wichtigsten Karriere-Phase der Frauen ab 30 Jahren. Hier könne auch das von der SPD geplante Elterngeld ein Rolle spielen. Das dann einjährige Elterngeld soll das bisherige Erziehungsgeld ablösen.
Die Familienministerin bekräftigte, in die Zahlung eines Elterngeldes von 2008 an einzusteigen. Als weitere Maßnahmen zur besseren Finanzausstattung der Familien nannte sie eine erhöhte steuerliche Absetzbarkeit von Betreuungskosten für die Kinder und die Weiterentwicklung des Kinderzuschlags. Daneben müsse die Infrastruktur zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie ausgebaut werden.
Für die CDU/CSU-Fraktion kritisierte Maria Böhmer, dass die Familienpolitik von Rot-Grün verfehlt sei. Das Elterngeld sei unausgegoren, die Finanzierung nicht geklärt. Die Union will einen steuerlichen Grundfreibetrag von 8000 Euro für Eltern und Kinder einführen.
Die Grünen-Expertin Ekin Deligöz verlangte ein Umdenken in der Familienpolitik. Auch das von Familienministerin Schmidt favorisierte Elterngeld sei keine Lösung, da es nach einem Jahr auslaufe.
Für die FDP ist das Elterngeld grundsätzlich eine gute Idee. Rot-Grün habe dafür aber keinen Finanzierungsplan.

Artikel vom 17.08.2005