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De Kuip kocht beim Fußball-Fest

Robben erzielt seine Treffer für Oma und ist auch sonst ein braver Enkel

Rotterdam (WB/fwk). Erscheint der Holländer zahlreich, wie etwa zum Besuch eines Fußballspiels, dann ist er kaum noch aufzuhalten. Mit einfachsten Mitteln der Unterhaltung versetzt er sich in Schwung. Er singt voller Inbrunst und schunkelt auch sehr gern. Ein Jubelabend für Arjen Robben: Der Außenstürmer stahl allen die Schau.
Der Holländer fällt aber nicht nur wegen seiner musischen Begabung besonders auf, sondern vor allem, weil er sich unübersehbar kenntlich macht. Die Festfarbe bei Einsätzen der Nationalauswahl ist das weit leuchtende »Oranje«.
Es handelt sich um eine freiwillige Kleiderordnung, der sich die überwältigende Mehrheit auch bei der Begegnung gegen Deutschland unterwirft. Im Stadion De Kuip von Rotterdam entsteht deswegen der Eindruck, Ball gespielt werde hier auf einer Orangen-Plantage.
Die allgemeine Heiterkeit strebt ihrem fulminanten Höhepunkt entgegen, als aus den scheppernden Stadionlautsprechern so etwas Ähnliches dringt wie »Tulalu, tatata«. Auch ein »rätätä« meint der deutsche Gast zu hören. Nur massenkompatibel sollte es sein. Es gibt Walzer, gefolgt von Sirtaki, ehe ein offenbar landesweit geschätzter Schlagerstar auch den letzten in der Arena befindlichen Holländer dazu bringt, Plastikfähnchen zu schwenken. Die stecken beim Anpfiff eingerollt in einem Loch in der Sitzschale. Es ist an alles gedacht. Dazu stülpen sich die Fußball-Oranier etwas merkwürdige Kopfbedeckungen über, die Megafon-Form haben. Man kann dann damit so tun, sie wahlweise auch als solche einzusetzen. Also alle mal ganz laut: Ta-tata und rätätä.
Jetzt kocht es in De Kuip. Darum können es die Kicker nicht verantworten, einen Stimmungsabfall zu riskieren. Sie kommen besser gleich zur Sache. 2. Minute: 1:0. Party, Party! Angriff, Angriff.
Später reicht es zwar doch nur zum 2:2, der Bondscoach erklärt allerdings, dass davon die Welt nicht untergeht. »Wir können damit leben«, sagt Marco van Basten. Und wenn er es kann, dann können es die anderen auch. Es handelt sich schließlich auch um keine neue Erfahrung. Vermutlich hätten die Holländer schon ein paar Mal Weltmeister werden müssen, das Dumme ist nur: Sie haben mehr Talent als Titel. Beim östlichen Nachbarn verhält es sich genau anders herum, vielleicht liegt darin die Rivalität begründet. Die Deutschen mögen an den Holländern nicht, dass die so gut Fußball spielen. Und den Holländern gefällt an den Deutschen nicht, dass die so erfolgreich sind.
»Ob die Weltmeister werden können? Glaube ich eigentlich nicht, doch möglich ist alles«, meint deswegen Arjen Robben, der mit seinen beiden Treffern und unzähligen Sololäufen zweifellos der Megamann des Abends ist. Und die rührendste Geschichte hat er auch noch beizusteuern. Die verstorbene Oma hätte am Spieltag Geburtstag gefeiert, »die Tore habe ich für sie geschossen.«
Ein braver Enkel - dürften auch die Deutschen denken. Denn der nach einer Strafraum-Attacke von Christian Wörns schon im Sturz befindliche Außenstürmer rappelte sich wieder hoch anstatt den fälligen Elfmeter zu nehmen. Das ist dann wohl wahre Weltklasse.

Artikel vom 19.08.2005