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Räumung: Viele Gaza-Siedler wehrten sich verzweifelt

Frau steckt sich in Brand - Israeli erschießt drei Palästinenser

Newe Dekalim/Jerusalem (dpa/Reuters). Die israelische Armee hat gestern mit ihrem größten Einsatz in Friedenszeiten die Zwangsräumung der 21 jüdischen Siedlungen im Gazastreifen begonnen.
Tausende Siedler und auswärtige Demonstranten widersetzen sich nach Ablauf einer Frist um Mitternacht zunächst mit Handgreiflichkeiten und lautstarken Protesten. Dann fügten sie sich aber mehrheitlich Anordnungen der mehr als 15 000 eingesetzten Soldaten und Polizisten. Zwei Drittel der 1550 registrierten Siedlerfamilien seien abgefahren, sagte ein Armeesprecher.
Die Proteste der Siedler und Demonstranten in den ersten sechs zur Zwangsräumung vorgesehenen Kommunen waren emotional und verzweifelt, aber überwiegend friedlich. Nach Handgemengen wurden gewalttätige Protestierer überwältigt und weggetragen.
Aus Protest gegen den Abzug setzte sich in Netivot, östlich des Gazastreifens, eine Demonstrantin in Brand. Die Frau habe an 60 Prozent ihres Körpers Brandwunden erlitten, sagte eine Polizeisprecherin. Es war die erste schwere Verletzung seit dem Beginn des Abzugs am Montag. Eine Soldatin wurde in der Siedlung Morag mit einem Messer verletzt. Ein Brennpunkt des Widerstandes war die Siedlung Newe Dekalim.
Bei einem bewaffneten Überfall auf ein Fahrzeug mit palästinensischen Arbeitern hat ein radikaler Israeli gestern im Westjordanland drei Palästinenser getötet. Drei weitere Palästinenser wurden verletzt. Der Mann habe sich die Waffe eines Wachmannes der Siedlung Schilo bei Jerusalem gegriffen und das Feuer eröffnet, berichtete der Rundfunk. Wachmänner überwältigten anschließend den Täter.
Der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon nahm gestern Soldaten und Polizisten in Schutz. An radikale Siedler gewandt, sagte er in Jerusalem: »Verletzt nicht die Soldaten und die Polizisten! Verletzt mich! Beschuldigt mich! Ich bin für all das verantwortlich.« Der Abzug aus dem Gazastreifen sei »eine äußerst wichtige Entscheidung für den Staat Israel«, fügte er hinzu. Israel zieht nach fast 38 Jahren aus dem Gazastreifen ab.
In Newe Dekalim und Morag bestiegen Siedler vom Vormittag an Busse zur Fahrt aus dem Gazastreifen. Nach stundenlangen Verhandlungen mit Polizei und Armee erklärten sich Mütter in einem Kindergarten in der Siedlung Morag bereit, mit ihren Kindern aus dem Gazastreifen zu fahren. Augenzeugen berichteten weiter, die Sicherheitskräfte hätten sich zudem Zugang zu einer Synagoge verschafft, in der sich Gegner des Abzugs verbarrikadiert hatten. Einige Siedler verließen das Gebäude freiwillig, andere wurden weggetragen.
»Das ist ein Verbrechen«, warnte in Morag ein Siedler die Soldaten. »Das werden wir Euch nie vergessen«, sagte ein anderer Einwohner. In mehrere Siedlungen kletterten Siedler auf die Dächer ihrer Häuser, um sich einem Zugriff zu entziehen. Einige Bewohner legten Feuer in ihren Gebäuden.
Soldaten und Polizisten haben gestern die Zwangsräumung der jüdischen Siedlungen Morag und Bedolach abgeschlossen. Seit dem Beginn des Einsatzes am Morgen seien 583 Häuser und öffentliche Gebäude geräumt worden, sagte eine Militärsprecherin in Tel Aviv. Viele der insgesamt 21 jüdischen Siedlungen im Gazastreifen waren bereits teilweise verlassen.
Jüdische Siedler aus dem Gazastreifen wollen zunächst in das Westjordanland umziehen. Mehrere Familien hätten sich darauf vorbereitet, in Gästehäuser der jüdischen Siedlung Ofra einzuziehen, sagte die aus Morag stammende Siedlerin Iris Cohen. Ein Sprecher der israelischen Regierungsbehörde für den Abzug, Chaim Altman, bestätigte staatliche Unterstützung der Siedler bei dem Umzug ins Westjordanland.
Der palästinensische Unterhändler Sajeb Erekat sagte, Israel verstoße mit einer Umsiedlung in jüdische Siedlungen im Westjordanland gegen Vereinbarungen. Er sprach von Sabotage des Abzugs.

Artikel vom 18.08.2005