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Autorin aus Leidenschaft: Ursula Lenkewitz mit dem Buch »ZeitZeugen«Foto: Nora Bax

»Wollte unbedingt Dauerwellen«

Zeitzeugin Ursula Lenkewitz berichtet über Kriegsjahre und Nachkriegszeit

Brackwede (bax). »Deutschland fiel in Schutt und Asche - und dann kamen die Bomber auch zu uns«. Bedrückende Stille herrschte im Erzählcafé der Brackweder Bartholomäuskirchengemeinde, als Ursula Lenkewitz ihre Kriegserlebnisse schilderte. Sie las aus dem Buch »ZeitZeugen«, in dem ihre Erinnerungen an die Kriegsjahre erschienen sind.

»Das Buch ist seit Sommer 2000 - über einen längeren Zeitraum hinweg - in einer Arbeitsgemeinschaft der Uni Bielefeld entstanden«, erzählt die Gasthörerin der Fächer Geschichte und Literatur. »Insgesamt haben acht Senioren daran mitgewirkt.« Die Geschichten handeln von den Kindheits- und Jugenderinnerungen der Autoren zwischen 1945 und 1950.
Der Beitrag von Ursula Lenkewitz beschreibt allerdings auch die Kriegsjahre davor. »Beim Schreiben hatte ich so viele Erinnerungen, dass ich den Herausgebern verschiedene Variationen anbot - sie nahmen sie beide«, erklärt sie den Umstand, dass ihre Geschichte 30 statt der vorgegebenen 18 Seiten lang ist.
Die heute 74-Jährige wurde 1931 geboren. Zusammen mit ihrer Mutter und den acht Geschwistern lebte sie auf dem Land in Gütersloh. Der Vater war bei der Marine.
Ihre frühe Kindheit sei sehr schön gewesen, erinnert sie sich. Erst als der Krieg ausbrach, habe sich viel verändert. Für die Großfamilie sei es schwer gewesen, diesen zu überstehen. »Unser Bauernhaus hatte keinen Keller, also baute mein Vater nahe dem Gebäude einen Stollen zum Schutz vor dem Bombenterror. Wie durch ein Wunder überlebten wir dort gegen Ende des Krieges einen Luftangriff. Unser Haus wurde dabei vollkommen zerstört.«
Ursula Lenkewitz erlebte viele solcher Wunder. Denn auch nach Kriegsende waren die Zeiten nicht gerade einfach. »Ich hatte immer Hunger«, schildert sie die Friedenssituation. »Dazu kam das unbeständige Wetter. Der Winter 1945 war der kälteste den ich jemals erfahren habe.«
Nach der Währungsreform 1948 sei es der Familie langsam besser gegangen. »Endlich gab es wieder genügend zu essen.«. Die damals 18-Jährige fand einen Arbeitsplatz im Büro des Bertelsmann Verlags - zu der Zeit noch eine kleine Firma. »Ich verdiente mein erstes Geld, das war wunderbar«, sagt die Pensionärin. Dieser Bürojob prägte offenbar: In der weiteren Karriere war sie bei der Stadtverwaltung Gütersloh und bis zu ihrem Ruhestand 1991 als Schulsekretärin im Städtischen Gymnasium tätig.
Mit etwas mehr mehr Wohlstand kam auch der Wunsch nach Luxus. »Ich wollte unbedingt Dauerwellen haben« erinnert sie sich schmunzelnd. »Leider hatte ich die Haare nicht kurz genug geschnitten und sah mit meiner Afromähne aus wie Struwwelpeter«.
Heute lebt die Mutter von drei erwachsenen Töchtern in Brackwede. Seit ihrem Ruhestand reist und schreibt sie sehr viel. Die nächste Lesung ihrer »Freude und Frustgeschichten« findet im Dezember statt - wieder im Erzählcafé.
Viele Zuhörer haben Ähnliches erlebt wie die 74-Jährige. Genau deshalb war sie sich zunächst nicht sicher, ob sie aus den »ZeitZeugen« lesen solle. »Ich hatte Angst, die Besucher des Erzählcafés würden mir mein Manuskript um die Ohren hauen. Schließlich ist es ja ein heikles Thema«, sagt sie.
Doch ihr Bangen war unbegründet. Viele der Senioren kamen nach der Veranstaltung auf sie zu, um sich für den Nachmittag zu bedanken. Moderatorin Hannelore Berger fasst zusammen: »Heute war es so still wie schon lange nicht mehr. Alle waren ganz gebannt von der Lesung.«

Artikel vom 18.08.2005