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Das Grauen ist wieder da

Text- und Tondokumente vom 11. September freigegeben

New York (dpa). Kurz vor dem vierten Jahrestag der Terroranschläge auf das World Trade Center mit 2700 Toten sind Grauen, Hilflosigkeit und Chaos des 11. September 2001 in New York wieder allgegenwärtig. Es entspringt umfangreichen Ton- und Textprotokollen, die die Verwaltung nach langem Rechtsstreit an Medien und Opferangehörige herausgegeben musste.

»Es war, als ob es Menschen regnete«, berichtete Rettungssanitäter Michael Ober auf einer der Audioaufzeichnungen, die insgesamt 23 CDs füllen. »Du konntest zuschauen, wie sie vom 90. Stockwerk oder so herabfielen.« Seine Verzweiflung schilderte Ober so: »Du bist lange ausgebildet worden, um Menschen wieder hinzukriegen, und dann schlagen sie hier einfach auf den Boden auf und das war's. Da ist absolut nichts, was Du für sie tun kannst.«
Die mediale Auswertung der erschütternden Dokumente, die in einigen Fällern eher an eine Ausschlachtung erinnert, begann unmittelbar nachdem Bürgermeister Michael Bloomberg sie am Freitag aushändigen ließ. Sie bestehen aus CDs mit den Schilderungen von 503 Feuerwehrleuten, Sanitätern und anderen Nothelfern sowie Mitschriften von Anrufen aus dem brennenden World Trade Center bei der Notrufzentrale.
Der Sender CNN stimmte in das Konzert des Grauens mit dem Bericht einer Feuerwehrfrau ein, die erzählte, sie habe Fallgeräusche zunächst nicht einordnen können. Als klar geworden sei, das es sich um Menschen handelt, die Sprünge in den Tod dem Sterben in den brennenden Türmen vorzogen, hätten sie und ein Kollege sich weggedreht. »Wir schauten auf eine Mauer, aber wir hörten weiter, wie sie aufprallten.«
Neben dem allgemeinen Schrecken werden in den Aufzeichnungen eine weitgehende Hilflosigkeit der Helfer angesichts des Zusammenbruchs der Funkverbindungen sowie erhebliche organisatorische Mängel erneut vor Augen geführt. Die »New York Times« sprach von einer »neuen Dimension« des 11. September, die nun erstmals vor allem durch die Schilderungen von Rettungssanitätern deutlich werde. »Sie berichteten, dass es unmöglich war, irgendjemanden zu finden, der ihnen sagen konnte, wohin sie gehen oder was sie tun sollten.« Berichte vieler Feuerwehrleute verstärkten zudem den Eindruck einer völligen Desorganisation, die viele Menschenleben kostete. »Alle Funkgeräte waren gestört, die Kommunikation war gleich null«, berichtete Feuerwehrmann Jeffrey Warner.
Bürgermeister Bloomberg hatte sich lange geweigert, die Erfahrungsberichte, die der damalige Chef der New Yorker Feuerwehr Thomas von Essen im Oktober 2001 initiiert hatte, zu veröffentlichen. Zur Begründung erklärte Bloomberg, die Aufzeichnungen könnten das Andenken an die Opfer beschädigen und die Gefühle Hinterliebener verletzen. Die Kläger hatten auf das Recht der Informationsfreiheit verwiesen.

Artikel vom 15.08.2005