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Zahl der Bedürftigen dramatisch gestiegen

»Bielefelder Tafel« kommt der Nachfrage kaum nach

Von Caroline Carls
(Text und Foto)
Bielefeld (WB). »Mir wurde vor einem halben Jahr gesagt, ich sei auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar«, sagt der 59-jährige Eckbert Fiedler. Er blickt sich um, sieht die etwa 100 Menschen, die dicht gedrängt um einen Kleintransporter stehen und stellt sich hinten an.

Aus dem Transporter reicht Rosetraut Kirse Lebensmittel zu den anstehenden Personen heraus. Die 58-Jährige ist Leiterin der »Bielefelder Tafel«. Ein Verein, in dem Ehrenamtliche die nicht mehr benötigten Lebensmittel von Supermärkten, Bäckereien, Großmärkten, Bio-Läden oder Feinkostherstellern in Bielefeld und Umgebung abholen und an Bedürftige verteilen. Mehr als 40 Tonnen Lebensmittel monatlich erreichen auf diese Weise rund 4500 sozial Schwache. Anfang des Jahres waren es 30 bis 35 Tonnen für etwa 3000 Empfänger. »Erschreckend für uns ist, dass sich die Zahl der Mittellosen insgesamt, aber besonders hier am Johanniskirchplatz in den letzten zwei Wochen fast verdoppelt hat - von 70 auf 120 Personen«, sagt Kirse. Männer, Frauen und Kinder stehen vor dem Transporter und drücken und schieben, um nicht leer auszugehen.
Seit zweieinhalb Jahren ist Eckbert Fiedler langzeitarbeitslos, seit März dieses Jahres erhält der ehemalige stellvertretende Baustellenleiter im Zuge der Harz IV-Reform das Arbeitslosengeld II: »Das sind 650 Euro. Wenn man Miete und Nebenkosten abrechnet, bleiben mir 325 Euro monatlich.« Es ist die sprichwörtliche »soziale Härte«, die für ihn tägliche Realität ist: »Ohne die »Bielefelder Tafel« wüsste ich nicht, was ich zu essen hätte.«
Seit neun Jahren bereits verteilt die »Tafel« mit der Hilfe von gegenwärtig rund 70 ehrenamtlichen Helfern Lebensmittel an sechs Standorten in Bielefeld. Harz IV-Empfänger haben wie viele andere Hilfsbedürftige einen »Bielefeld Pass«, der sie berechtigt, das Essen entgegenzunehmen. Anfang des Jahres gab es etwa 6000 berechtigte Haushalte, heute sind es 19000. »Die Zahlen sind beängstigend. Wir hoffen, dass wir der gestiegenen Nachfrage gerecht werden können«, betont Rosetraut Kirse, »dafür bräuchten wir jedoch dringend weitere Lebensmittel- und Bargeldspenden. Aber auch kostenlose Tankfüllungen für die Kleintransporter sind für uns vonnöten.«
Eckbert Fiedler ist mittlerweile an der Reihe gewesen und hat zwei volle Plastiktüten mit Gemüse, Brot, Obst und anderen Lebensmitteln erhalten. »Es war sehr schlimm, den Stempel »nicht vermittelbar« aufgedrückt zu bekommen. Man fühlt sich heruntergestuft«, sagt er. Die zermürbende Belastung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Aber einen Funken Hoffnung scheint Fiedler noch zu besitzen. Die Kraft, sich trotz aller Absagen immer wieder neu zu bewerben, schöpft er aus der Arbeit in seinem Schrebergarten. 280 Euro kostet ihn die Miete für die 380 Quadratmeter große Anlage pro Jahr. »Mein persönlicher Luxus. Dort kann ich arbeiten, werde gebraucht. Nur auf diese Weise kann ich zeitweise meiner Niedergeschlagenheit entkommen.«
www.bielefelder-tafel.de

Artikel vom 16.08.2005