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Kleiner Julian war fast taub -
Heute kann er wieder hören

Ärzte pflanzten dem Jungen aus Bielefeld-Brackwede Elektroden ins Ohr

Von Alexander Heim
Bielefeld (WB). Eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit stellten Ärzte bei Julian Callauch aus Bielefeld-Brackwede fest, als dieser ein Jahr alt war. Heute kann der Neunjährige wieder hören - mit Hilfe von Elektroden im Ohr.

Die Schiebetür zu Julians Zimmer steht halb offen. Der Neunjährige hat sich versteckt und will gesucht werden. Ein feiner Kunststoffdraht verbindet Tür und Rahmen. Wer die Tür aufschiebt, löst den Signalton einer Alarmanlage aus - ein Geschenk, das Julian zu seinem Geburtstag bekommen hat. Julian hört den Alarm und stürzt aus seinem Versteck: »Hast du dich erschreckt?«, fragt er mit strahlenden Augen. Einem kleinen Gerät, das er am und im Kopf trägt, einem sogenannten Cochlear-Implantat (CI), verdankt Julian dabei, dass er überhaupt hören kann und so gut sprechen gelernt hat.
»Wir haben schon früh gemerkt, dass Julian nicht richtig hört«, erinnern sich seine Eltern, Astrid und Carsten Callauch, an die Zeit, als ihr Sohn drei Monate alt war. »Aber von den Ärzten wurden wir als hysterisch abgetan«. Mit neun Monaten kamen Audiologen zu dem Ergebnis, »dass das Kind nur stur ist«. Drei Monate später dann stellten Kollegen der Medizinischen Hochschule Hannover bei Julian eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit fest. 120 dB beträgt Julians Hörschwelle - »einen Düsenjet direkt neben sich würde er hören«, erklärt Vater Carsten Callauch. Ein Lärmpegel, der bei normal Hörenden zur Schwerhörigkeit führen würde.
Wer nicht richtig hört, kann aber auch das Sprechen nicht richtig erlernen. »Jahre später sind wir auf eine HNO-Praxis in Münster aufmerksam geworden«. Dort empfahl man den Eltern das Bochumer Elisabeth-Hospital, eine Klinik, die sich auf Cochlear-Implantationen spezialisiert hat, um sich, trotz bestehender Vorbehalte, doch noch einmal über die Vorteile und Risiken einer Implantation in Julians Innenohr zu informieren. Im September 2001 entschieden sich die Eltern zu dem Schritt, wurde Julian, der sich bis dahin nur mit Gebärden verständlich machte, zwei Stunden lang operiert. »Den Tag werde ich nicht vergessen - genau am 11.September, als auch in New York die Anschläge auf das World Trade Center verübt wurden«, erinnert sich Carsten Callauch, der eigentlich nach dem OP-Stress beim Fernsehen entspannen wollte. Sechs Wochen später, nachdem die Wunden verheilt waren, wurden die Elektroden in Julians Innenohr-Schnecke zum ersten Mal angeschaltet. »Die Kinder hören die Geräusche ganz anders als wir. Julian hat erst einmal geweint - obwohl das Gerät leise eingestellt war«.
Inzwischen aber ist das CI für Julian eine absolute Selbstverständlichkeit. In seinem Zimmer hängt, gleich neben der mannshohen Pappfigur von Darth Vader, eine schicke, silberne CD-Anlage, mit der sich Julian die Musik von »50-Cent« anhört. »Die findet er »cool««, schmunzelt Astrid Callauch. Auch, weil die großen Cousins das sagen. »Herbert Grönemeyer hört er inzwischen heraus, andere Musikstücke kann er nicht immer unterscheiden«, erklärt sie. Auch Hörspiele der »Wilden Kerle« stehen bei ihm hoch im Kurs. »Er hat dabei aber auch immer mal wieder Verständnisfragen«.
Um das Hören und Sprechen (»Ich kann doch sprechen!«) noch besser zu trainieren, besucht Julian einmal wöchentlich seine Logopädin, Meike Scholz, die mit ihm konkrete Wortfelder und grammatische Regeln übt. »Seit einiger Zeit »nervt« es Julian, wenn andere Kinder immer auf sein »Hörgerät« starren«, erzählt Astrid Callauch. »Dann und wenn's ihm mal zu laut wird oder er seine Ruhe haben will, macht er es einfach ab«, verrät die 42-Jährige. Drei Tage halten die drei Batterien, bevor sie gewechselt werden müssen.
»Unser Sohn ist unglaublich neugierig und will alles wissen«, freuen sich die Eltern über Julians Lernfreude. Zurzeit ist Geschichte sein Steckenpferd, schmökert Julian sich zudem in die Abenteuer von Asterix und Obelix hinein. Sorgen machen sich seine Eltern, wenn ihr Sohn mit dem Fahrrad unterwegs ist. »Weil man für das Richtungshören beide Ohren braucht, ist es für ihn mit seinem Implantat auf nur einer Kopfseite ein Problem, Geräusche, etwa Autos, richtig zu lokalisieren, wenn er sie nicht sieht«. Und vielleicht sorgen sie sich auch wegen seines neuesten Berufswunsches: »Seitdem er James-Bond-Filme sieht und im Urlaub einen Freund getroffen hat, der Erfinder werden will, steht für ihn fest, dass er Geheimagent wird«.

Artikel vom 02.09.2005