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Des Leichtathleten
Lust am LeidenVon Oliver Kreth


Während die junge US-Rasselbande viel Gold in ihre Teenager-Zimmer hängen kann, musste beim DLV mal wieder die Rentner-Gang ran. Ausgemusterte, in den B-Kader Degradierte retteten dem »neuen« DLV die WM-Bilanz von Helsinki. Bemerkenswert, dass die Kübel Häme ein nicht noch größeres Ausmaß angenommen haben, welche Franka Dietzsch, Steffi Nerius, Michael Möllenbeck oder Kirsten Bolm über Clemens Prokop und Co. ausschütteten.
Bitterstes Beispiel im Umgang mit den Athleten beim DLV bleibt Hürdensprinterin Bolm. Die um Zentimeter an Bronze Vorbeigeschrammte hatte nämlich schon überlegt, die Spikes an den Ruhestands-Nagel zu hängen. Schließlich könne man als eine der Weltbesten über 100 Meter Hürden nicht vom Sport leben. So ist es halt in der Leichtathletik: zehn bis 14 Trainingseinheiten pro Woche leiden, nebenher Studium oder Ausbildung absolvieren, denn von den DLV-Brosamen kann man kaum existieren, geschweige denn etwas zurücklegen, wie es den beiden Arbeitslosen Möllenbeck oder Dietzsch-Coach Dieter Kollark derzeit gut tun würde.
Da ist es verständlich, dass man wenigstens auf moralische Rückendeckung vom DLV hofft. Umsonst. Lapidare Antwort von Sportdirektor Frank Hensel: »Athleten müssen auch akzeptieren, dass wir ein Belohnungssystem haben. Sie erwarten längerfristige Dankbarkeit, dass kann der Sport nicht leisten. Und außerdem: Wer hatte denn Franka Dietzsch in den letzten zwei Jahren auf dem Zettel?« Eben Herr Hensel, das ist euer Problem!
Mag die Kritik von Steffi Nerius an Champagner-Clemens überzogen sein, den Kern hat die Speerwerferin aus Leverkusen getroffen. Dass die DLV-Bundestrainer nicht über Trainings- und Motivationszustand seiner wirklich wenigen Spitzenkräfte auf dem Laufenden ist, kann man den Athleten auch nicht anlasten. Und dass die Verantwortlichen immer noch nicht erkannt haben, dass die Anwesenheit der Heimtrainer beim sportlichen Höhepunkt des Jahres wichtiger ist als die der Bundestrainer, die nicht in der Lage sind, vernünftige Leistungsprognosen hinzubekommen, bleibt eine offensichtlich nicht abzustellende DLV-Blödheit.
Aber ein bisschen heile ist die deutsche WM-Welt doch: Andre Niklaus hat die schon totgesagten Zehnkämpfer in »Hell-sinki« wiederbelebt, Ralf Bartels ließ sich Bronze auf seine breite Brust legen, Andre Höhne ging fast bis zur Medaille, dazu Tobias Ungers Sprint-Stabilisation, aber vor allem Christina Obergfölls Euro-Rekord.
Die WM-Bilanz: Deutschland so lala, USA auf absehbare Zeit uneinholbar, der Thriller Carolina Klüft gegen Eunice Barber, »Kosmonatin« Jelena Isinbajewa, die Vierfacherfolge der US-Boys über 200 m und der äthiopischen Girls über 5000 m mit der Abräumer-Familie Dibaba (2 x Gold, 2 x Bronze) sowie ein Publikum, dass der Leichtathletik würdig war: Es hatte Lust am Leiden bei den Regenspielen im Zeichen von »Isidor«.

Artikel vom 15.08.2005