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»Das Stück Himmel am Bahnhof«

Mitarbeiter der Bielefelder Bahnhofsmission helfen in jeder Lebenslage

Von Caroline Carls
und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). 12.21 Uhr. An Gleis 4 steht der ICE 952 nach Kön. Zwei Minuten Aufenthalt. Karin Wiebesiek und ihre Tochter Jennifer kommen mit ihren Fahrrädern angerannt: »Wo können wir rein?« Blick auf die Uhr. »Im ICE werden keine Fahrräder mitgenommen«, ist die Antwort der Schaffnerin.

Eine alltägliche Situation am Bielefelder Hauptbahnhof. Die Zeit drängt, Nerven liegen blank, Gespräche werden zu Konfrontationen. Wären da nicht die »Engel« der Bahnhöfe: die Mitarbeiter der Bahnhofsmission. Marcel Bohnenkamp vermittelt und klärt die Situation: Erst der nächste Zug bringe Karin Wiebesiek und ihre Tochter an ihr Reiseziel. Glückliche Gesichter und Entspannung auf allen Seiten.
Marcel Bohnenkamp ist seit Mai dieses Jahres Leiter der Bielefelder Bahnhofsmission, deren Träger der Evangelische Gemeindedienst und der Caritasverband sind. Der 34-Jährige kennt die Probleme der Bahnreisenden: »Viele ältere Menschen brauchen Hilfe beim Ticketkauf am Automaten. Manche wissen nicht, zu welchem Bahnsteig sie müssen. Besonders momentan - während des Umbaus - kann leicht ein wenig Verwirrung aufkommen.« Dass dies nicht geschieht, dafür sorgen er und seine 18 Mitarbeiter, drei Praktikanten und ein Zivildienstleistender vor Ort.
Bereits vor 106 Jahren wurde die Bahnhofsmission in Bielefeldeingerichtet. Umstiegshilfe, Beratung, Hilfevermittlung für Obdachlose, Begleitung von Kindern, Seelsorge, Hilfe für Behinderte und vieles mehr bieten diejenigen an, die in ihren blauen Westen mit dem rot-weißen Stern darauf gut als Mitarbeiter der ökumenischen Einrichtung zu erkennen sind. Rund 24.000 Mal wurde ihre Hilfe im letzten Jahr in Anspruch genommen. »Wir helfen in jeglicher Krisensituation weiter«, versichert Bohnenkamp. Seit zehn Jahren engagiert sich der Rietberger im sozialen Bereich. »Es ist mein Traumberuf«, betont er, der ursprünglich Chemie und Erdkunde auf Lehramt studiert hat.
Auch für Hilfsbedürtige oder Obdachlose, die nicht mit der Bahn reisen, sondern in der Hektik des Alltags einen verständnisvollen Gesprächspartner suchen, ist die Bahnhofsmission eine Anlaufstelle. Bohnenkamp: »Ein 17-Jähriger, der von seinen Eltern vernachlässigt wird, kommt jeden Morgen bei uns vorbei, um sich sein Frühstücksbrot abzuholen. Wir hören zu, wenn er Probleme hat und unterstützen ihn, so gut wir können. Für ihn sind wir so etwas wie eine Ersatzfamilie.« Eine »Familie«, in der nicht nur stets ein freier Stuhl und ein warmes Getränk bereit steht, sondern bei der man auch Ersatzschnuller, Windeln, Rasierer, Pflaster oder sogar Zahnhaftcreme bekommen kann. Für den Fall der Fälle.-
In vielerlei Hinsicht wird die Arbeit der Bahnhofsmission von der Deutschen Bahn unterstützt. »Sie stellt uns die Räumlichkeiten, Strom und Heizung. Die Zusammenarbeit ist wirklich sehr gut«, betont Bohnenkamp. In etwa zwei Monaten soll die Mission ihre renovierten Räume am alten Standort neben den Schließfächern wiedereröffnen. Zurzeit bietet sie ihre Notfallhilfe in Räumen an der Bahnhofstrasse an.
Aber wie geht man mit den zum Teil bewegenden persönlichen Schicksalen um, die einem jeden Tag begegnen? »Man muss professionell damit umgehen, um wirklich helfen zu können. Ich persönlich finde meinen Ausgleich in dem Glauben an Gott und durch das Gebet«, erklärt Marcel Bohnenkamp. »Viele Personen in sozialen Berufen werden nach einigen Jahren sarkastisch. Ich aber will, dass die Menschen, die zu mir kommen, mit einem Lächeln wieder gehen.«

Artikel vom 11.08.2005