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Niklaus beschenkt sich selbst

Bestleistung auf 8316 Punkte gesteigert - Unger stürmt ins 200-m-Finale

Helsinki (dpa). Im Dauerregen-Zehnkampf von Helsinki hat Sonnyboy André Niklaus alles gegeben und sensationell WM-Platz vier erobert.

Der verdiente Lohn sind 15 000 Dollar IAAF-Prämie und eine Havanna von Trainer Rainer Pottel. Mit der Bestleistung von 8316 Punkten krönte der 23-jährige Berliner seinen größten internationalen Erfolg. Vor zwei Jahren bei der WM in Paris war Niklaus Achter geworden.
Sein erstes WM-Gold holte sich im Olympiastadion von 1952 der Olympia-Zweite Bryan Clay. Der 25 Jahre alte US-Amerikaner sammelte 8732 Punkte, 211 mehr als sein befreundeter Rivale Roman Sebrle. Auch der Tscheche wollte den Titel, er ging aber ausgerechnet an seinem starken zweiten Tag baden. Dritter wurde der Ungar Attila Zsivoczky mit 8385 Punkten. Titelverteidiger Tom Pappas (USA) war nicht am Start.
Für den Olympiasieger und Weltrekordler aus Tschechien lief am zweiten Tag überhaupt nichts mehr: In vier Disziplinen war Clay gestern besser als sein fünf Jahre älterer Trainingspartner. Allein beim Speerwurf verlor Sebrle 134 Zähler - damit war der Marsch des Sportsoldaten von Dukla Prag auf den WM-Gipfel eigentlich schon beendet. Von seiner Jahresweltbestleistung (8534 Punkte), die Clay übertrumpfte, war er weit entfernt. Dagegen ist das goldene Happy End für Clay umso bemerkenswerter, denn Ende Mai hatte sich der US-Boy im Mehrkampf-Mekka Götzis zwei Rippen gebrochen.
Als für Sebrle der Zug längst abgefahren war, ging für André Niklaus die Party erst richtig los. »Irgendwie bekomme ich es mit dem Wetter gut geregelt«, meinte der neue deutsche Zehnkampf-Star. »Platz sechs ist das absolute Highlight - aber weiter komme ich nicht nach vorn«, hatte Niklaus vor dem abschließenden 1500-Meter-Lauf verkündet. Und es sollte noch besser kommen.
Bei Temperaturen um 15 Grad wuchs der einzige Deutsche im Wettbewerb über sich hinaus: 46,13 Meter im Diskuswurf waren persönliche Bestleistung. »Das war schon eine sensationelle Weite für ihn«, sagte sein Trainer Rainer Pottel. Niklaus übertraf seine bisherige Diskus-Bestmarke gleich um 4,24 Meter. Altmeister Pottel muss seinen Musterschüler nun zu einem »Abendessen mit Havanna einladen.
»Schwabenpfeil« Tobias Unger ist erstmals in ein WM-Finale gestürmt. »Ich bin überglücklich», sagte der 200-Meter-Sprinter vom LAZ Kornwestheim/Ludwigsburg nach seinem dritten Platz im ersten Halbfinale. »Jetzt an eine Medaille zu denken, wäre vermessen. Ich denke, dass ich um die Plätze fünf und sechs kämpfen werde.«
Unger reichten 20,63 Sekunden, um hinter den US-Amerikanern John Capel (20,45) und Wallace Spearman (20,49) ins Ziel zu kommen. »Durch Tobias weiß ich, dass die Deutschen wieder schnell rennen können«, staunte sogar der Weltjahresbeste Spearman. Für den 26-jährigen Sportmarketingstudenten ist dies nach seinem siebten Platz bei den Olympischen Spielen 2004 und seiner Goldmedaille bei der Hallen-EM der größte Erfolg.
Im heutigen Endlauf stehen nun vier Amerikaner. Den zweiten Lauf gewann Tyson Gay in 20,27 Sekunden vor dem 100-Meter-Weltmeister und Olympiasieger Justin Gatlin. Unger ist nicht nur der einzige Europäer, sondern wie in Athen der einzige Weiße im Endlauf. »Mir selbst bedeutet das schon ein bisschen was. Aber man sollte auch aufpassen, dass man nicht als Rassist bezeichnet wird«, erklärte der deutsche Rekordhalter. »Umso mehr freue ich mich, ein kleiner Farbtupfer zu sein.« Von den Mätzchen Capels, der mehrfach den Start verzögerte und mit den Kampfrichtern diskutierte, ließ sich der deutsche Meister nicht durcheinander bringen, auch wenn er hinterher schimpfte: »Ich hätte ihn rausgeschmissen.«
»Ich habe heute nichts mehr zu verlieren und kann locker rangehen«, sagte er und lächelte vor sich hin. »Ich bin ein bisschen kaputt, kalt ist mir auch. Aber das passt schon.« Dann wickelte er sich in eine glänzende Folie, die ihm Helfer gereicht hatte.

Artikel vom 11.08.2005