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Leitartikel
Soforthilfe zu wenig

Von der Hand in
den Mund


Von Reinhard Brockmann
Als Ahmed Ali Musa (48) noch ein Kind war, war der Wald hinter seinem Heimatdorf Tiné an der Grenze zum Tschad so dunkel wie er selbst. Der kleine Junge fürchtete nichts mehr, als dort nach entlaufenen Ziegen suchen zu müssen.
Heute brennt hier die Sonne unbarmherzig auf eine endlose Sandwüste, der nur noch härtesten Sträucher und Hirsepflanzen widerstehen. Der gesamte Sahel greift weiter nach Süden aus, zugleich wächst die Bevölkerung stark an. Das erhöht den Druck auf die Ökologie zusätzlich. Verdrängungsprozesse zwischen Bauern und Hirten-Völkern setzen ein. Wenn dann noch Banditentum, islamistische Eiferer oder alte Stammes-Streitereien hinzukommen, haben wir das, was moderne Entwicklungspolitik eine »strukturelle Schwäche« nennt.
Fernsehbilder von todgeweihten Kindern mit dünnen Ärmchen und durchscheinender Haut am milchlosen Busen der Mutter stehen am Ende dieser Entwicklung, die lange vorher erkennbar ist. Aktuellstes Beispiel ist Niger, wo nach den differenzierteren Recherchen der Deutschen Welthungerhilfe keine »Katastrophe«, wohl aber eine »dramatische Nahrungsmittelknappheit« herrscht.
Die Schwächsten hungern zuerst: Flüchtlinge im Sudan und im Tschad, aber auch Landlose in Burkina Faso, Mali und den Randgebieten Westafrikas. Überall gärt es - von Sierra Leone über das Elend in Liberia, in Teilen Togos und auch dem bevölkerungs- wie ölreichen Unrechtsland Nigeria. Daneben gibt es selbst in den reinen Wüstenstaaten immer noch einigermaßen versorgte und auf lokalen Märkten zahlungsfähige Gruppen, die zudem über enorme Fähigkeiten zur Selbsthilfe verfügen. In Darfur, dem vom Völkermord gepeinigten Westen Sudans, leben neben zwei Millionen Vertriebenen auch schätzungsweise zehn Millionen in einigermaßen »normalen« Verhältnissen.
Massive Hilfe von außen ist und bleibt erforderlich. Ungezählte Menschen müssten schon in wenigen Wochen verhungern, wenn das Welternährungsprogramm seine Getreidefrachter auf den Weltmeeren von heute auf morgen stoppen würde. Denn: Den unfähigen Militär-Regierungen vieler Hungerstaaten ist das eigene Staatsvolk höchstens lästig.
Deshalb muss Hilfe und Entwicklungspolitik langfristig und strukturorientiert angelegt sein. Soforthilfe ist und bleibt Hilfe von der Hand in den Mund. Auch wenn das Stopfen hungriger Mäuler dem satten Europa die besseren TV-Bilder und die einfacheren Begründungen liefert, ist alles nichts ohne eine Strategie, die letztlich sogar in nationales Regierungshandeln eingreift.
Schulen, Wasserleitungen und Krankenstationen sind nach unserem Verständnis staatliche Leistungen. Längst ersetzt bzw. stellen die UN vielerorts Versorgungsflüge, Rechtsprechung und Seuchenbekämpfung. Fragt sich, welche Aufgaben für die eigentliche Regierung noch bleiben. Auch wenn sie überheblich klingt, ist die Antwort einfach: Nichts.

Artikel vom 12.08.2005