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Überragender Schriftsteller
und arroganter Besserwisser

Morgen jährt sich der Todestag von Thomas Mann zum 50. Mal

Von Dietmar Kemper
Paderborn/Lübeck (WB). Thomas Mann sei die »Alternative zum SMS-Zeitalter«, meint der Paderborner Germanist Hartmut Steinecke. In der Tat ist der Verfasser dickleibiger Bücher wie der »Buddenbrooks« (1901) mit 160 Buchstaben und Satzzeichen nie ausgekommen. Thomas Mann, dessen Todestag sich morgen zum 50. Mal jährt, beschrieb in seiner langen Schaffenszeit mehr als 100 000 Seiten.

Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hält Thomas Mann »für den bedeutendsten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts«. Er habe die »schönsten, die klügsten, die tiefsten und wichtigsten Bücher geschrieben«. Einfach zu verstehen war Thomas Mann aber noch nie. Das hänge mit der bewusst gewählten »Kunstsprache« zusammen, erklärt Professor Hartmut Steinecke, Spezialist für Roman und Romantheorie. Es sei weit davon entfernt gewesen, wie das Volk rede. Die Mischung aus Psychologie und Gesellschaftskritik kennzeichne darüber hinaus Manns Schreibstil, erläutert Steinecke.
Der am 6. Juni 1875 in Lübeck geborene Kaufmannssohn trat 1894 erstmals bei der Satire-Zeitschrift »Simplicissimus« in Erscheinung. Die zum Teil autobiografische Geschichte über eine Lübecker Kaufmannsfamilie »Buddenbrooks - Verfall einer Familie« (1901) begründete Thomas Manns Ruhm und brachte ihm 1929 den Nobelpreis ein. Aber auch die Novelle »Der Tod in Venedig« (1912) und die Romane »Der Zauberberg« (1924), »Lotte in Weimar« (1939) und »Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull« (1922/1954) gehören zum Besten, was die deutschsprachige Literatur zu bieten hat. »Thomas Mann ist einer der ganz wenigen deutschen Autoren, die in den Curricula der Universitäten im Ausland fest verankert sind«, betont Steinecke.
In diesen Tagen wollen aber nicht alle das Loblied mitsingen. Der andere deutsche Literaturnobelpreis-Träger Günter Grass gab doppeldeutig zu bedenken, sensationelle Überhöhung in Form von Übertreibung habe Thomas Mann nicht verdient. Zeitgenossen von Thomas Mann, darunter so mancher Schriftsteller, stießen sich an dessen arroganter Art. Das deutsche Volk verwahrte sich dagegen, über seine Rolle im Dritten Reich belehrt zu werden, so wie es Thomas Mann 1945 bei einer Rede in Washington tat. Nachdem er sich vom Anhänger der Monarchie zum Unterstützer der Demokratie gewandelt hatte, musste er 1933 nach Hitlers Machtübernahme in die Schweiz emigrieren. Drei Jahre später verlor er die deutsche Staatsbürgerschaft. Mann wurde tschechischer Bürger, später erhielt er den amerikanischen Pass.
»Wo ich bin, ist deutsche Kultur«, verkündete er im Exil. Mann fühlte sich als Nachfolger Goethes, und so gleichgültig und herablassend wie sich der Dichterfürst in Weimar gegenüber seinen dichtenden Zeitgenossen verhielt, so gebärdete sich Thomas Mann in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er habe sich als »König des Exils« empfunden, weiß Steinecke aus der Forschung. Ärmere, ebenfalls emigrierte Schriftsteller-Kollegen hätten von ihm keine finanzielle Hilfe bekommen. »Das Abgehobene und Arrogante gehörte zur Selbststilisierung von Beginn an dazu«, berichtet Steinecke und verweist auf die »Steuerung seines Nachruhms«. Teile seiner Tagebücher habe Thomas Mann vernichtet und im Testament verfügt, dass der übrig gebliebene Nachlass frühestens 20 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden durfte.
Der Schriftsteller starb am 12. August 1955 in einem Spital in Zürich an einem Kreislaufkollaps. Als seine Tagebücher erscheinen durften, setzte das Interesse an seiner Person neu ein und ist bis heute ungebrochen. Zum 50. Todestag brachte der Frankfurter S. Fischer-Verlag für zehn Euro »Die Erzählungen« heraus. Sie wurden bereits 130 000 Mal verkauft. Die Buchhandlung Welscher in Bielefeld richtet in der nächsten Woche ein Fenster zum Todestag von Thomas Mann ein. »Wir sprechen vorrangig Leute an, die sich für die Klassiker interessieren«, sagte gestern der Inhaber Rudolf Kampeter. Aber auch für jüngere Menschen, die beim Medienereignis Thomas Mann mitreden möchten, hat er einen Buchtipp parat: »49 Fragen und Antworten zu Thomas Mann« von Thomas Klugkist. Dort erfahre der Leser zum Beispiel, warum Manns Werke so dick sind.

Artikel vom 11.08.2005