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Hamburg wartet lange
auf ein Hindernis

Erstmals seit 1986 gelingen zwei Liga-Siege zu Beginn

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Bielefeld (WB). Die Hamburger wollen hoch hinaus. »Klettermaxe« Sergej Barbarez probte den geplanten Gipfelsturm schon am Bielefelder Stadionzaun. Den erklomm der Bosnier nach dem Abpfiff fast wie ein Drahtseil-Artist.

Auf oberer Sprosse dirigierte er die Jubelgesänge der HSV-Fans, die ihr Glück kaum fassen können: Gewinnt ihre Mannschaft denn immerzu? Das 2:0 beim DSC Arminia war schon der neunte Sieg in Folge. Angesichts dieser fulminanten Erfolgsserie in UI-Cup und Bundesliga fällte Thomas Doll ein erstes Saison-Urteil, das vielversprechend klingt: »Wir haben eine tolle Truppe.« Der 39 Jahre alte Trainer steht tatsächlich einer beachtenswerten Mannschaft vor, die bisher verlässlich die ihr gestellten Aufgaben erledigt. Das geschieht mal glanzvoll wie zuletzt gegen den FC Valencia, oder bei Bedarf so wie in Bielefeld: zweckdienlich und ergebnisorientiert.
»Wir wären auch mit einem 0:0 einverstanden gewesen«, räumte Doll ein, »wir wollten aber immer versuchen, auch dieses Spiel zu gewinnen.« Sie hatten nur bis zur 80. Minute darauf warten müssen, und es bedurfte schon eines überflüssigen Elfmeters, um sich später für den Langmut selbst zu loben. Zufrieden interpretierte der Trainer den Spielverlauf als besonnene hanseatische Abwartehaltung: »Wir sind immer ruhig geblieben und haben viel Geduld bewiesen.«
Das hörte sich wunderbar an, es stimmte ja auch - nur: hätte Armine Sibusiso Zuma nicht gegen den ziellos im Strafraum kreuzenden David Jarolim sein Knie ausgefahren, wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der Nullnummer geblieben. So aber demonstrierte der Tscheche, dass Standfestigkeit kaum zu den Tugenden von Fußball-Profis gehört. Und dass sie schon gar keine Hindernisläufer sind, sondern eher über eine Hürde stolpern, wenn dies der Sache dient. Auf diese Weise verschaffte Jarolim dem Teamkollegen Barbarez einen freien Torschuss aus elf Metern.
In der Nachspielzeit verwöhnte Rafael van der Vaart die HSV-Anhänger mit einem Freistoß zum 2:0, auf den der Fanblock der Gäste die beste Sicht hatte. Dort fand sich nach dem Schlusspfiff wenig später auch die gesamte Elf ein, um gemeinsam den gelungenen Liga-Start zu feiern. Solche Verbundenheit dürfte es demnächst noch häufiger geben, wenn Abwehrchef Daniel van Buyten Recht behält: »Mit dieser Mannschaft können wir viel erreichen.«
Nur weiß Trainer Doll aus langjähiger Erfahrung, dass sich auch die Hamburger nicht über Monate hinweg nur in den Armen liegen: »Eine Saison hat immer ihre Höhen und Tiefen.« Auch ist die Beanspruchung schon groß gewesen, »man hat gesehen, dass uns einige Spiele in den Knochen stecken«, nahm Doll die Vollbeschäftigung im UI-Cup zum Anlass, die sicher nicht berauschende Bielefeld-Vorstellung zu erklären.
Nun ist in den nächsten Tagen Regeneration angesagt. Da wird sich auch etwas Zeit finden, zurückzublicken. Auf 1986. Vor 19 Jahren startete der HSV letztmals mit zwei Bundesliga-Siegen. Der Trainer hieß noch Ernst Happel. Ein junger Profi namens Dietmar Beiersdorfer, der heute Sportdirektor des Klubs ist, bestritt seine ersten Partien. Die Mannschaft wurde Vizemeister und holte den Pokal. Wüsste er, das es genauso kommt wie damals, würde Beiersdorfer dies ganz bestimmt schon jetzt als »gebongt« abzeichnen.

Artikel vom 15.08.2005