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Leitartikel
Lichtblick »Berlin Mitte«

Endlich mal nicht modisch
maulend


Von Rolf Dressler
Schon Wahlkampf-Warmlaufzeiten können es in sich haben. Ausschlaggebend für all das, was dann noch folgen mag, ist letztlich immer, wann, wie und wo der Funke zu denen überspringt, um deren Stimmengunst die Partei-Matadore auch in diesen Wochen wieder buhlen.
Mit Leichtigkeit lassen sich da - sogar buchstäblich über Nacht - Stimmungen in Mißstimmungen verkehren, zumal gerade auch das deutsche Herdenwesen Mensch nun einmal dazu neigt, die Negativ-Brille aufzusetzen, sobald die (vermeintliche) Mehrheit das modisch maulende Miesepetern nur kräftig genug vorlebt. Positiv aufgemerkt haben dürften deshalb am Donner- stagabend jene gut 3 1/2 Millionen Zuschauer, die den Auftritt der Unions-Kanzleramtsbewerberin Angela Merkel im ZDF verfolgten.
Denn solche menschlich-fairen und zugleich inhaltsreichen Darbietungen können wir Bürger uns nur wünschen. Gäbe es sie öfter, brauchte den ungezählten Zagenden und Bedrückten im Lande vor der Zukunft längst nicht so bange zu sein, wie es gegenwärtig den Anschein hat.
Auch dank Maybrit Illners beispielhafter Zwiegesprächsführung geriet diese Ausgabe von »Berlin Mitte« zu einem fesselnden Stück Fernsehkultur im besten Wortsinne. Das tut ungemein gut gerade zu Zeiten, in denen selbst noch so Läppisches grotesk hochgedreht wird, nur um die Wahrheiten und Problemwirklichkeiten zu verschleiern und zu klittern, die den Menschen draußen unter den Nägeln brennen, weil die herrschende Politik sie ausspart - ob aus Ignoranz oder mit voller Absicht, schon wieder auf den nächsten Wahlgang schielend.
Wie es denn eigentlich um die Meinungsfreiheit und mehr noch um die politische Debattenkultur in Deutschland bestellt sei, fragt in einer aktuellen Zuschrift vom 12. August 2005 an die Redaktion dieser Zeitung die Leserin Dr. Anneliese Hassenbürger aus Paderborn. Und in der Tat: Ist es nicht unverantwortlich, wie viel Energie und teure (Arbeits-)Zeit Politiker auch jetzt wieder mit peinlich- dümmlichen Attacken, penetranten Dementis, Pseudo-Interpretationen und Entschuldigungsversuchen vertun, die sie sich ganz allein selbst eingebrockt haben? Nicht wenige verkaufen die Leute für dumm, wenn sie es bereits als politisch unkorrekt geißeln, Meinungsunterschiede offen und sachgerecht klar zu benennen.
Dadurch nämlich bilden sich Mentalitäten, Denkungsarten und Verhaltensmuster heraus, wie sie zwar durchaus nicht »nur« den heutigen Politikern zu eigen sind. Aber: Wie die Herr'n da oben - so das G'scherr hier unten. Alte, ewig junge Volksweisheit.
Der große Mark Twain spöttelte einst hintersinnig, mit der Wahrheit, seinem kostbarsten Gut, solle der Mensch möglichst sparsam umgehen. Uns dünkt, zu viele auch der Heutigen verstehen ihn absichtlich falsch.
Erfreuliche Ausnahme: »Berlin Mitte«, 11. August anno 2005.

Artikel vom 13.08.2005