11.08.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Leitartikel
Bundestagswahl 2005

Die große Mär von der
großen Kraft


Von Ulrich Windolph
Der Glaube an die große Koalition ist nicht totzukriegen. Im jüngsten Politbarometer hat diese Bündnisvariante klar am besten abgeschnitten. 50 Prozent der Befragten fänden eine Koalition aus Union und SPD gut, während das nur 27 Prozent für eine Koalition aus SPD und Grünen und nur 39 Prozent für eine Koalition aus Union und FDP gelten lassen wollten.
Offenbar hält sich mit großer Hartnäckigkeit die Überzeugung, dass gerade, ja vielleicht sogar nur ein Bündnis aus Union und SPD die drängenden Problem unseres Landes lösen kann. Und da wir davon ja reichlich haben - Reformen im Renten-, Steuer- und Gesundheitssystem werden immer dringender - wird die große Koalition munter als Modell für die Zeit nach dem 18. September 2005 gehandelt.
Wahrscheinlich hängt die Attraktivität eines solchen Bündnisses mit dem Wunsch vieler Menschen zusammen, dass der Streit zwischen den Parteien endlich aufhören müsse, dass eine große Koalition die Politiker ja geradezu zum Zusammenraufen zwinge. Vergessen wird, dass gerade die Politik den Streit braucht, weil Demokratie nur im Ringen um den richtigen Weg lebendig bleibt und erfolgreich sein kann.
Vor allem aber bleibt merkwürdig unbeachtet, dass es - allen Umfrageergebnissen zu Folge - eine große Koalition nur ohne Gerhard Schröder wird geben können. Folglich wird es in einer großen Koalition auch die alte SPD Gerhard Schröders nicht mehr geben. Die Partei wird nach links rücken, sie muss es sogar. Zum einen, um sich vom Koalitionspartner CDU/CSU abzusetzen, und zum anderen, um den linken Rand des Wahlvolks nicht vollends an die Herren Gysi und Lafontaine zu verlieren. Die SPD erwartet eine Zerreißprobe, die sie nicht lange aushalten wird.
Die Union ihrerseits wird als großer Koalitionspartner kaum geneigt sein, sich auf mehr Kompromisse als nötig einzulassen. Reformwille und -kraft würden trotzdem von der SPD stärker gedämpft als von der FDP. Eine große Koalition kann deshalb für die CDU/CSU nie mehr sein als eine Zwischenstation auf dem Weg zur »richtigen« Machtübernahme. Schließlich will Angela Merkel als erste Bundeskanzlerin beweisen, dass »Deutschland mehr kann«.
Nimmt man dazu noch die jüngsten Erfahrungen mit einer Kooperation von SPD und Union in Sachen Gesundheitsreform als Präzedenzfall hinzu, muss einem vor einer großen Koalition regelrecht Angst und Bange werden. Es bleibt, wie es ist: Eine große Koalition wird nicht gewählt, sie ist eine Notlösung, wenn es keine andere Wahl gibt.
In der jetzigen Situation würden sich die großen Kräfte nicht ergänzen, sondern blockieren. Und sie müssten gemeinsam viel zu vielen Interessengruppen gerecht werden. Wichtige Entscheidungen würden vertagt oder im Konsenstaumel verbockt - Besitzstandswahrung aber bedeutet Stillstand. Eine große Koalition schafft mehr Probleme als sie löst.

Artikel vom 11.08.2005