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Der traurige Weltmeister

Kenenisa Bekele siegt für seine verstorbene Freundin

Helsinki (dpa). Kenenisa Bekele ist der traurigste aller Leichtathletik-Weltmeister von Helsinki. »Es war kein leichtes Jahr«, sagte der 23-jährige Äthiopier leise nach seinem Erfolg über 10 000 Meter in 27:08,33 Minuten, »ich konnte mich nicht gut vorbereiten.«

Denn der 4. Januar wurde zum schrecklichen Albtraum: Beim Training brach seine Verlobte Alem Techale - gerade 18 Jahre alt - mit Herzversagen zusammen und starb. »Ich habe sie sehr geliebt, sie war sehr wichtig für mich. Eigentlich wollte ich aufhören mit dem Laufen«, sagte er, »dank Gott bin ich zurückgekehrt.«
Im März trat er erstmals wieder bei der Cross-Weltmeisterschaft an - und gewann sein viertes Titel-Double. »Ich habe für sie gewonnen«, so Bekele. Doch Schmerz und Trauer drückten weiter auf die Seele des Olympiasiegers. Deshalb entschloss sich der Lauf-Held Äthiopiens für sechs Wochen allein ins Trainingscamps nach Flagstaff (USA) zu gehen, um zur Ruhe zu kommen.
»Es war eine harte Zeit für ihn. Ich habe noch niemanden gesehen, der so tief trauerte wie er«, sagte Bekele-Manager Jos Hermens. »Er ist über das Schlimmste hinweg, doch wir werden nie wieder den Mann sehen, der er einmal gewesen ist.«
Im Mai war der Nachfolger seines Landsmannes Haile Gebreselassie dann zumindest sportlich wieder fit: In Hengelo verpasste er seinen Weltrekord über die zehn Kilometer mit 26:28,72 Minuten knapp.
Die Jagd nach Medaillen und Weltrekorden wird weiterhin seine beste Therapie gegen das erlittene Leid sein. Zunächst verzichtete er aber bei der WM auf den zweiten Start über 5000 m, obwohl sein Widersacher Hicham El Guerrouj (Marokko) - er hatte ihn bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen geschlagen - nicht dabei ist. »Es würde niemanden helfen, weder ihm noch Äthiopien, Afrika oder dem Sport«, begründete Hermens den Entschluss, obwohl der äthiopische Verband Bekele zum Doppel-Start drängte. Vielleicht kann sich Bekele dennoch über den 5000-m-Medaillenkampf freuen: »Mein Bruder Tariku läuft mit. Wenn er eine Medaille gewinnt, wäre ich glücklich.«
Kenenisa Bekele selbst soll Reserven für eine weitere Attacke auf seinen 10000-m-Weltrekord (26:20,31) am 26. August in Brüssel haben. Vorher wird er wohl noch über 3000 m beim Golden-League-Meeting in Zürich an den Start gehen. »Den Weltrekord zu brechen, wird für mich sehr schwer, da ich mich wegen des Todes meiner Verlobten nicht so gut vorbereiten konnte«, dämpfte Bekele, der erst als zweiter Läufer nach Gebreselassie den WM-Titel über 10 000 m verteidigen konnte, die Erwartungen.

Artikel vom 10.08.2005