09.08.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Für Schröder tragen die Bosse in OWL sogar rote Krawatten

Bundeskanzler wirbt bei Schüco und IHC um die Fortsetzung der Agenda

Von Bernhard Hertlein
Bielefeld (WB). Wenn Manager rote Krawatten tragen, kann das damit zu tun haben, dass sich Rot wie keine andere Farbe vom grauen Anzug abhebt. Wenn sie diese Krawatte in auffallend großer Zahl zu einem Vortrag des amtierenden Bundeskanzlers anziehen, kann dies sogar mit Sympathie zu tun haben - mit Sympathie zur Person, meist weniger zur Partei.
Der Kanzler kann's. Im Hintergrund beobachten Schüco-Geschäftsführer und rechts daneben die Mitarbeiter Norbert Habig und Jörg Vehmeier Schröder beim Schraubendrehen. Foto: Hans-Werner Büscher
Schröder macht der Wahlkampf Spaß. Nach dem Vortrag erhielt er einen mit Solarzellen bestückten Rucksack. Foto: Carsten Borgmeier

Gerhard Schröder zieht an. Die Umfragen hatten ihn vor Monaten abgeschrieben. Doch als der Kanzler gestern zu einem Vortrag beim Industrie- und Handelsclub Ostwestfalen-Lippe nach Bielefeld kam, musste der IHC im Vorfeld etwa 100 Interessenten absagen. Dennoch war die Veranstaltung im Schüco-Technologiezentrum mit 550 Zuhörern noch die größte der Art in der Geschichte des IHC.
Schröder kam schon am Nachmittag von einem Wahlkampfauftritt in Beckum und einem Firmenbesuch in Plettenberg gut gelaunt und von der Sonne beschienen im Solarwerk von Schüco an. Der Ort war nicht zufällig gewählt: Der auf Fenster- und Fassadenbau spezialisierte Bielefelder Betrieb hat sich ganz nebenbei zum führenden Hersteller von Thermokollektoren entwickelt. Die gesamte Jahreskapazität des Bielefelder Werkes reicht nach Angaben des geschäftsführenden Gesellschafters und IHC-Präsidenten Dirk U. Hindrichs für die Produktion von 1000 Megawatt -Êdas entspricht der Leistung eines Kernkraftwerks -Êdurch Solarenergie zu ersetzen. Schon 2005 erwartet Schüco in diesem Sektor einen Umsatz von mehr als 300 Millionen Euro. Schröder, der auf seinem Rundgang unter anderem von Herbert Sommer (Sommer Fahrzeugbau), Modezar Gerhard Weber, Peter Zinkann (Miele), Peter Ulrich (Mercedes-Benz), Peter von Möller (Möller-Werke), Walter Metzen (Staff) und Daniel Terberger (Katag) begleitet wurde, führte diesen Erfolg natürlich auch auf die energiepolitische Wende der rotgrünen Koalition zurück. Nebenbei, während der Kanzler zur Freude der Fotografen vorführte, dass er auch mit dem Schraubendreher umgehen kann, floss auch ein bisschen Lokalkolorit. Schröder berichtete, dass er schon während seiner Lehre als Baubeschlagshändler im lippischen Lemgo auf Schüco aufmerksam geworden sei.
Obwohl die Stimmung -Êwohl auch nach einer Runde mit OWL-Unternehmern im kleinen Kreis -Êzu Beginn der IHC-Veranstaltung schon sehr gelöst war, begann der Kanzler seinen Vortrag staatsmännisch. Als Themen wählte er die internationale Politik, die Zukunft Europas nach der Verfassungskrise und die innenpolitischen Herausforderungen durch Globalisierung und Überalterung. Er stellte sich als der Reformkanzler vor, dessen »Agenda 2010« -Êversehen mit einem neuen Votum der Wählerschaft -Êdoch noch Erfolg haben könne.
Dafür erhielt Schröder nicht nur großen Beifall, sondern auch einiges an Lob: Die Reformen sind mutig und richtig (Sommer). Der Kanzler hat ein großes Detailwissen und ein offenes Ohr (Weber). Er ist souverän (Ulrich). Terberger, der den Kanzler kritisch nach der weiter ausstehenden Vereinfachung des Steuersystems fragte, war allerdings mit der Antwort nicht ganz zufrieden: »Es muss ja nicht gleich alles auf einen Bierdeckel passen. Aber etwas mehr Ehrgeiz wünschte ich mir schon.«
Neben Lob gab es auch für den Kanzler vom IHC Geschenke -Êeinen vollen Rucksack sogar, was Schröder zu der launigen Bemerkung veranlasste: »Da hat wohl jemand den Speicher ausgeräumt.« Darunter war natürlich die IHC-Krawatte -Êneuerdings nicht mehr blau, sondern rot. Schröders eigener »Binder« war gestreift: schwarz-rot-weiß. Wer ihn deshalb aber auf das Thema Große Koalition ansprach, wurde auch in Bielefeld abgewimmelt: »Dazu sage ich vor der Wahl nichts.«

Artikel vom 09.08.2005