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Leitartikel
Sitz im UN-Sicherheitsrat

Berlin hat
keine guten
Karten


Von Jürgen Liminski
Das Scheitern war absehbar. Dennoch haben der Bundeskanzler und sein Außenminister mit einem gerüttelt Maß an Selbstherrlichkeit geglaubt, man werde Deutschland einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat, womöglich sogar mit Veto-Recht, auf einem silbernen Tablett präsentieren.
Gewiss, schon Goethe meinte, ohne ein gewisses Maß an Selbstüberschätzung werde man nichts zustande bringen in diesem Leben. Aber diese Lebensweisheit taugt vielleicht für das persönliche Leben, nicht aber für die Diplomatie. Gut möglich, dass Schröder und Fischer auch in dieser Frage ihre persönlichen Ambitionen mit den Interessen Deutschlands verwechselt haben und es immer noch tun. Das Erwachen wird schmerzhaft sein.
Es könnte auch früher kommen als erwartet. Die Reform der Weltbürokratie ist sicherlich notwendig. Aber hier geht es um einen historischen Prozess, und so etwas läuft meistens in Zeitlupe ab. Keine der fünf Veto-Mächte wird auf die globale Führungsrolle verzichten wollen, auch Schröders Busenfreund Chirac nicht.
Vorstellbar ist allenfalls, dass man einige Länder als ständige Mitglieder des Sicherheitsrats akzeptiert. Dazu gehören vor Deutschland noch Japan und Indien. Beide Länder haben dafür die Unterstützung Washingtons. Deutschland muss für sich erst einmal die Positionen in Europa klären.
Da will vor allem Italien ein Wort mitreden, und in dieser Frage sind Rom und Berlin schlicht verkracht. Auch gibt es mit Paris und London bereits zwei europäische ständige Ratsmitglieder, von Russland einmal ganz abgesehen.
Berlin hat auch ansonsten keine guten Karten. Tokio kann immerhin mit dem Stopp der Beitragszahlungen an die UNO drohen. Japan trägt mit seinen 1,2 Milliarden Dollar mehr bei als die vier anderen ständigen Ratsmitglieder (China, Russland, Großbritannien, Frankreich) zusammen. Deutschland kann als drittgrößter Beitragszahler solche Drohungen nicht riskieren, ohne gleich als imperialistisch gescholten zu werden. Auch im Nahen und Mittleren Osten sowie gegenüber China marschieren Japan und die USA im Gleichschritt, die Deutschen stolpern da irgendwie hinterher.
Man sieht das alternde Land in der Mitte Europas zunehmend als unsicheren Kantonisten oder, wie der Historiker Hans-Peter Schwarz es formuliert, als »Republik ohne Kompass«.
Mit diesem Erbe wird sich die künftige Regierung Merkel plagen müssen. Sie wäre gut beraten, sämtliche Pläne im Zusammenhang mit der UNO erstmal auf Eis zu legen, den unglücklich taktierenden Botschafter Pleuger, einen strammen Gefolgsmann Fischers, nach Berlin zurückzuholen, die Beiträge für die UN-Organisationen hier und da mit Verweis auf die klamme Haushaltslage zu kürzen und dann abzuwarten.
Es würde nicht lange dauern, bis man Deutschland bittet, an der Reform doch aktiv mitzuwirken. Dann kann und sollte man es auch tun - mit bescheidener Miene.

Artikel vom 09.08.2005