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Mit Carl dem Großen auf Augenhöhe

100-m-Champion Justin Gatlin will noch zwei Titel in Finnland gewinnen

Helsinki (dpa). Weltmeister Justin Gatlin reichten 40 schnelle Meter zum Sieg.

»Alle anderen Finalisten sind besser gestartet als ich, doch die letzten 40 Meter waren die besten meines Lebens. Danach habe ich nur noch geschrien«, sagte der US-Supersprinter nach dem überlegensten Sieg über 100 Meter in der WM-Geschichte. In Helsinki kam er 17/100 Sekunden eher als der Überraschungs-Zweite Michael Frater (Jamaika/10,05) ins Ziel. »Was es für ein Sieg auch war, ob mit einer Meile oder ein paar Zentimeter Vorsprung, ich habe es geschafft«, jubelte der im New Yorker Stadtteil Brooklyn geborene neue Sprint-Hero nach den 9,88 Sekunden.
Bedeutsamer als der einzelne Triumph ist für ihn, in die Sprint-Historie einzugehen. »Ich kann meinen Namen nicht neben Carl Lewis' setzen, er hat neun Mal Olympia-Gold gewonnen«, sagte der 23-Jährige, der 2004 aus dem Nichts zu Olympiasieg über 100 m und Bronze über 200 m gelaufen war, »ich will aber in seine Fußstapfen treten und Champion der Champions werden, wie er einer war.« Der große Lewis war es auch, der 1987 in Rom mit einer annähernd großen Zeitdifferenz (15/100 Sekunden) Sprint-Weltmeister geworden war.
»Für mich ist es eine große Bestätigung zu zeigen, wie dominant ich in diesem Jahr bin«, sagte Gatlin, der sieben von neun Rennen gewann. Die großen Schlagzeilen hatte aber der Jamaikaner Asafa Powell mit seinem Weltrekord von 9,77 Sekunden am 14. Juni in Athen geliefert. Wegen eines Muskelfaserrisses musste er bei der WM zuschauen. »Ich hätte ihn gern dabei gehabt, dann wäre das Rennen schneller geworden«, meinte Gatlin, »und der Weltrekord wäre bedroht gewesen.« Powell, der den WM-Sprintern in den Katakomben gratulierte, konterte cool: »Ich hätte gewonnen. Schließlich bin ich schnell und selbstbewusst.« Nun soll es am 19. August beim Golden-League-Meeting in Zürich zum Duell der Giganten kommen.
Vorher will Gatlin seinen Triumphzug bei der WM fortsetzen und am Donnerstag die 200 m sowie am Samstag mit der 4 X 100-m-Staffel gewinnen. »Es ist ein anderer Justin als bei Olympia. Da war ich zu relaxed über 200 Meter und gewann Bronze. In diesem Jahr will ich aber Gold über 200 Meter und mit der Staffel«, kündigte der 1,85 m große und 83 kg schwere Athlet an, der 2003 bei der Hallen-WM in Birmingham mit dem 60-m-Titelgewinn den Durchbruch schaffte.
Zuvor war Gatlin jedoch durch einen Doping-Fall gebremst worden: 2001 wurde er bei den nationalen Junioren-Meisterschaften positiv auf Amphetamin getestet, für zwei Jahre gesperrt und nach einem Jahr vom Weltverband IAAF begnadet. Angesprochen auf den Skandal um das kalifornische Doping-Laboratorium Balco, in den auch seine amerikanischen Sprint-Kollegen Tim Montgomery und Marion Jones verstrickt sind, gibt er sich geläutert: »Wir zeigen der Welt, dass man es auch ohne Doping-Mittel schaffen kann.«

Artikel vom 09.08.2005