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Behinderte in
OWL zufrieden

Geringste Widerspruchsquote in NRW

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Die Behinderten in Ostwestfalen-Lippe werden sehr gut betreut. Mit 17 Prozent weist das Versorgungsamt Bielefeld die niedrigste Widerspruchsquote in Nordrhein-Westfalen auf.
Laura ist eine autistische junge Frau und hat Angst vor Nähe. Behutsam baut Ina Buschschlüter Kontakt zu ihr auf. Als Außenseiter der Gesellschaft erhalten Behinderte finanzielle Erleichterungen. Foto: Bethel

Bei den übrigen Versorgungsämtern liege die Quote bei 20 Prozent und mehr, sagte der Leiter der Bielefelder Anlaufstelle, Franz-Josef Schlerkmann dieser Zeitung. Auf den Lorbeeren will er sich nicht ausruhen: »Wir arbeiten daran, die Bescheide noch verständlicher zu gestalten.« 230 000 Behinderte leben in Ostwestfalen-Lippe, 145 000 von ihnen gelten als schwerbehindert. 45 Mitarbeiter kümmern sich in Bielefeld um die Anliegen derer, die durch körperliche Gebrechen, Unfälle und psychische Erkrankungen beeinträchtigt sind. Vom Antrag bis zu dessen Genehmigung dauert es durchschnittlich 2,4 Monate.
Während in Bielefeld die Proteste selten sind, gibt es anderswo immer wieder Reibereien. »Behinderte Menschen haben häufig Ärger mit dem Versorgungsamt«, kritisiert der neue Verein »Schwerbehindertenhilfe« in Hattingen: »Behinderte leiden schon genug unter ihren Erkrankungen und müssen sich dann noch mit einer oft uneinsichtigen Verwaltung herumschlagen.« Bei umstrittenen Beurteilungen biete der Verein Rechtsbeistand an, erklärte der Sprecher Martin Fricke: »Ein Patient legt zunächst beim Versorgungsamt zur Fristwahrung Widerspruch gegen den Bescheid ein. Danach wendet er sich an die Schwerbehindertenhilfe und fordert das Versorgungsamt auf, seine Akten an den Verein zu senden. Dessen erfahrene Fachärzte werten die Unterlagen aus und erstellen ein Gutachten zur Begründung des Widerspruchs.«
In den Verfahren geht es um die Höhe des Behinderungsgrades. Je höher er ausfällt, desto mehr »Nachteilsausgleiche« können die Betroffenen in Anspruch nehmen. Dazu gehören Steuerfreibeträge, kostenlose Fahrten mit Bus und Bahn, der Anspruch auf einen Behindertenparkplatz oder auch die Befreiung von den Rundfunkgebühren. Weil nur ein Prozent der Behinderten in Ostwestfalen-Lippe noch erwerbstätig sind, kommt ihnen jede finanzielle Erleichterung zupass.
Bei der Ermittlung des Grades orientieren sich die Ärzte an den so genannten »Anhaltspunkten für die Begutachtung von Behinderten«. Demnach führt der Verlust einer Hand zu einer Behinderung von 50 Prozent, eines Beines zu einer Einschränkung von 70 Prozent. Blinde, Rollstuhlfahrer und Menschen, deren Gehirnfunktionen stark reduziert sind, gelten als zu 100 Prozent behindert.
»Es ist insgesamt schwieriger geworden, einen Behinderungsgrad von 50 Prozent und mehr zu bekommen«, sagte Franz-Josef Schlerkmann. Erst 1997 und dann wieder 2003 seien die Anhaltspunkte für die Begutachtung verändert worden. Schlerkmann: »Ein Herzinfarkt brachte früher einen Behinderungsgrad von 50 Prozent, heute sind es nur noch 40 Prozent.« Dies werde damit begründet, dass die Zeit in der Reha kürzer geworden sei und sich Herzinfarkt-Patienten sportlich betätigen sollen. Ein Feststellungsverfahren über die Schwere der Behinderung kostet im Versorgungsamt Bielefeld 173 Euro; das Geld zahlt nicht der Antragsteller, sondern das Land.
Weil die öffentlichen Kassen leer sind, befürchtet der Verein Schwerbehindertenhilfe, dass Behinderte nur mühsam einen hohen Grad mit den damit verbundenen Vergünstigungen durchsetzen können.

Artikel vom 08.08.2005