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Bielefeld hat Charme
und gute Chancen

Ralf Nettelstroth (CDU) zu Perspektiven der Stadtentwicklung

Bielefeld (WB). Die politische Debatte wird geprägt von der schwierigen Finanzlage der Stadt Bielefeld. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Zukunft des ostwestfälischen Zentrums in entscheidendem Maße abhängt von der Stadtentwicklungspolitik. Ralf Nettelstroth, stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender im Rat befasst sich seit vielen Jahren mit der Problematik. Über die aktuelle Situation und die Perspektiven sprach mit Nettelstroth WB-Redakteur Manfred Matheisen.

Herr Nettelstroth, in wenigen Wochen enden die Sommerferien. Die politische Diskussion wird wieder entflammen - und dabei spielt die Stadtentwicklung gewiss eine gewichtige Rolle. Wo steht Bielefeld jetzt, im Sommer 2005?Um es gleich vorweg zu sagen: Bielefeld steht viel besser da, als es in der Öffentlichkeit oft wahrgenommen wird. Lassen Sie mich auflisten, was in der vergangenen Legislaturperiode unter der bürgerlichen Ratsmehrheit vollendet worden ist: Das »Sieker Loch« wurde mit einem attraktiven Neubau geschlossen. Am Zwinger, im Bereich der IHK, ist die Stadtreparatur mit Park- und Geschäftshäusern gelungen. Am Adenauerplatz ist das Streitbörger-Gebäude entstanden, am 330-Grad-Haus haben die Arbeiten begonnen. Auf dem Delius-Gelände an der Arndtstraße hat die BGW für studentisches Wohnen, Einzelhandel und Gastronomie gesorgt. Das Neue Bahnhofsviertel ist - bis auf kleine Restflächen - vollgelaufen.
Auch im Wohnungsbau sind wir gut voran gekommen. Als Beispiel will ich nur das Baugebiet Hof Hallau nennen. 25 Jahre ist das Projekt vor sich hin gedümpelt. Jetzt stehen dort die Krähne.

Dennoch gibt es noch etliche »Baustellen« in der Stadt.Das ist richtig. Nehmen wir nur den Neumarkt. Da müssen wir jetzt ran, und ich bin zuversichtlich, dass sich etwas tun wird und die »Ödlandschaft« mitten in der Stadt mit Leben erfüllt wird.

Das bedeutet konkret?Der HFS-Fonds, dem das Amerikahaus gehört, hat zwischenzeitlich die »Alte Post« gekauft. Es gibt Überlegungen, das Quartier mit einem guten Mix aus Handel und Wohnen attraktiv zu gestalten. Die Alte Post könnte Portal zur Innenstadt werden. Wir stellen uns vor, dass auf dem Neumarkt oder in dem wunderschönen historischen Gebäude eine Art Markthalle entsteht, die zu einem Anziehungspunkt weit über Bielefeld hinaus werden könnte.

Der bestehende Einzelhandel wehrt sich aber ganz entschieden gegen die Ausweisung neuer Handelsflächen.
Wir werden auch behutsam vorgehen müssen. Es kann nicht unser Ziel sein, bestehende Geschäfte zu gefährden. Es geht um eine sinnvolle Abrundung. Handel bedeutet heute ja nicht mehr in erster Linie Bedarfsdeckung. Die Menschen wollen ein Einkaufserlebnis. Deshalb brauchen wir gerade am Neumarkt neue, attraktive Konzepte.
Und der Kesselbrink?Den Kesselbrink sollten wir zunächst offen lassen. Wir sind in Bielefeld darauf fixiert, alle Probleme auf einmal lösen zu wollen. Das ist aber wenig sinnvoll. Wir haben den Markthändlern signalisiert, dass sie weiter mit dem Standort Kesselbrink rechnen können. Allerdings sollte überlegt werden, ob die Entwicklung des Wochenmarktes mit einem sehr großen Angebot an Bekleidung und »Ein-Euro-Artikeln« den aktuellen Bedürfnissen entspricht. Oftmals wird ja auch die Ansiedlung großflächigen Einzelhandels auf dem Kesselbrink ins Gespräch gebracht. Um es ganz klar zu sagen: das entspricht nicht unseren Vorstellungen.

Und neue Verbraucher- oder Baumärkte auf der vielzitierten grünen Wiese?Es ist zunächst einmal gut, wenn etwas Neues entsteht. Allerdings dürfen die bestehenden Strukturen nicht gefährdet werden. Schauen sie sich die Innenstadt von Bad Oeynhausen an, die wegen des Werre-Parks ausblutet. Sehen Sie ins Ruhrgebiet, wo das Centro Oberhausen zu verheerenden Entwicklungen der Innenstädte geführt hat. Auch hier müssen wir in Bielefeld in aller Behutsamkeit vorgehen.

Vor den Sommerferien ist ein »Technisches Rathaus« heiß diskutiert worden. Wie steht die CDU dazu?Wir werden sehr sorgfältig prüfen. Ganz entscheidend ist der wirtschaftliche Aspekt. Für uns steht fest, dass die Stadt selbst nicht als Bauherr auftreten kann. Angesichts der demographischen Entwicklung und neuer technischer Möglichkeiten - Stichwort Internet - wird die Verwaltung sich auf Sicht verkleinern. Deshalb kann die Stadt nach unserer Meinung nur als Mieter auftreten, mit der klaren Option, dass eine »Entmietung« möglich sein muss. Zudem muss der Mietpreis stimmen.
Diese Fragen müssen zunächst einmal geklärt werden. In die Betrachtung einfließen wird allerdings auch, dass bei einer Entscheidung pro Technischem Rathaus die derzeit von der Verwaltung genutzten Immobilien - Kreishaus in der August-Bebel-Straße und das Anker-Gebäude - auf den Markt kämen, Erlöse brächten und Investitionen auslösen würden.

Und die Standortfrage?Es gibt ja mehrere Alternativen. Das »alte« Bahnhofsviertel, das Kesselbrinkgrundstück und die Brachfläche zwischen Ishara-Bad und Stadtwerke-Zentrale. Wir sind da nicht festgelegt, führen die Diskussion ergebnisoffen. Die Bürger können aber sicher sein, dass wir die Dinge sehr solide betrachten werden.

Zu einer attraktiven Stadt gehören auch Freizeitangebote. Seit Jahrzehnten diskutieren wir über einen See, in dem gebadet werden kann und auf dem Bötchen fahren. Kommt statt des Untersees nun der Senne-See?Ich kenne natürlich den Traum von einem See. Wir haben einstimmig einen Ratsbeschluss gefasst, das Projekt, gerade auch unter dem Kostenaspekt, prüfen zu lassen. Das Ergebnis wollen wir abwarten. Ich weiß aber, dass hohe wasserwirtschaftliche Auflagen zu erwarten sind, die erhebliche Kosten verursachen.

Herr Nettelstroth, die Städte
und Gemeinden haben kein Geld, sind auf private Investoren angewiesen. Birgt das nicht die Gefahr, dass es keine Stadtentwicklung »aus einem Guss« mehr gibt?
Nein. Die Stadt hat die Planungshoheit. Und die nutzen wir auch. Stadtentwicklung bedeutet, nach vorn zu sehen, Optionen frei zu halten, und zu überlegen, wie könnte Bielefeld in 20 oder 30 Jahren aussehen.

Wie sieht Bielefeld dann aus?Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich unsere Stadt positiv entwickeln wird. Kaum eine Großstadt hat so viel Grün wie Bielefeld. Das macht den Charme aus. Zudem sprechen alle Zahlen dafür, dass Bielefeld in den nächsten 25 Jahren noch eine zunehmende Bevölkerungszahl haben wird. Wir werden uns natürlich auf veränderte Bedürfnisse einstellen müssen. Nehmen Sie nur den Wunsch nach neuen Wohnformen, zum Beispiel Lofts. Dem werden wir Rechnung tragen.

Im Stadtrat gibt es seit den Kommunalwahlen ein Patt. Es ist der Eindruck entstanden, die Parteien blockierten sich gegenseitig und es gehe nichts mehr. Die Sorge ist nicht unberechtigt. Mir scheint wichtig zu sein, dass die großen Fraktionen die Kraft haben, über die Parteigrenzen hinaus zu schauen und gemeinsame Entscheidungen für Bielefeld zu treffen. Es darf nicht sein, dass die Stadtentwicklung in die Hände von PDS und Bürgernähe gelegt wird.
Mir ist aber auch wichtig zu sagen, dass Bielefeld in der Stadtentwicklungspolitik nicht neu erfunden werden kann. Das wäre im übrigen auch gar nicht nötig. Im Respekt vor dem Bestehenden sollten wir Schritt für Schritt das angehen, was verbessert werden muss.

Trotz aller Probleme sehen Sie also zuversichtlich in die Zukunft.Eindeutig ja. Bielefeld hat Potential. Und das werden wir nutzen. Da brauchen wir auch gar nicht so weit in die Zukunft zu sehen. Wer heute durch die Altstadt geht, kann sich doch nur freuen, wie schön die gute Stube der Stadt wird. Die Neugestaltung ist ein wichtiger Baustein und zeigt, dass trotz aller Schwierigkeiten etwas entsteht, auf das Bielefeld stolz sein kann.

Artikel vom 06.08.2005