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Wirklich, ich könnte glatt ertrinken!« Auf der Hauptstraße tauchten neue Schilder auf, die vor Überflutungen warnten - ARAF! LLIF! -, und wir halfen mit unserem Traktor, einen Wagen aus dem Schlamm zu ziehen. Die Hühner blieben in ihrem Stall, und die Schäferhunde stanken fürchterlich. Meinem Großvater klebten die nassen Haare auf der Stirn wie Unkraut.
Und ich erinnere mich, wie die keuchenden Mutterschafe sich am Valentinstag in der Scheune aneinander drängten, wie der Brych schließlich über die Ufer trat und der Schlamm kam.
Schlamm - so ein kleines Wort. Es sieht schwach aus, verschämt - was kann so ein einsilbiges Wort schon anrichten?
Die Antwort heißt: Mehr, als man glaubt. Mit diesem Schlamm fing alles an.
Was hatte ich bisher schon an Schlamm gekannt? Schlamm in der Stadt, das bisschen Schmutz am Grund einer Pfütze. Aber nicht das hier. Das hier war wie ein Überfall, tückisch, hinterhältig wie eine dicke braune Schlange, die sich näher schiebt, kaum dass man ihr den Rücken kehrt. Am Anfang war ich begeistert - man konnte tolle Schlammtorten daraus machen und wunderbar damit werfen. Einmal traf ich Lewis am Hinterkopf. Ein perfekter Wurf. Er schrie auf, und ich ließ mich hinter den herzförmigen Felsen fallen. Zum Glück fand er mich nicht. Ich hörte ihn fluchen, hielt den Atem an und blieb dort hocken, bis er weg war.
Und ich begann im Schlamm auf der Straße nach Fußabdrücken von Billy zu suchen. Bist du da?, flüsterte ich in die Büsche hinein und hoffte, dass mir sein rotes Gesicht entgegenblicken würde. Aber ich wusste, dass kaum damit zu rechnen war. Ich fand nichts, was ihm hätte gehören können. Das Einzige, was mir in die Hände fiel, war ein blaues Seidenband in der Grube neben dem Viehgatter, und das konnte ruhig dort verrotten. Nicht einmal ein Verrückter würde bei diesem Wetter in den Bergen spazieren gehen.
Und ich erinnere mich noch, mit großer Klarheit, wie ich einmal im Schlamm stecken blieb. Es war am Abend. Ich stapfte ein paar Schritte auf die Kuhweide hinaus, und auf einmal ließ mich der Boden nicht mehr los. Ich bekam Angst. Ich dachte an die Moore bei Tor-y-gwynt, an die erste Regel, und war überzeugt davon, dass ich hier sterben würde. Ich wollte nicht sterben. Ich war nicht bereit dafür. Ich spürte, wie ich sank, schrie nach meiner Mutter und wand mich und brüllte, bis ich gefunden wurde. Meine Großmutter spottete, während sie mir ein Bad einließ, und sagte, natürlich wäre ich nicht gestorben. Aber ich war sicher gewesen. Ich hatte zum Winterhimmel hinaufgeblickt und Abschied genommen.

Am schlimmsten aber war es für die Tiere. Die Schafe mit ihrem dicken Fell konnten nicht schnell genug laufen, und wir verloren viele an die Füchse. Die Mutterschafe begannen in der Scheune zu lammen. Sie schnauften und schwitzten, während der Regen aufs Dach trommelte, und ich saß, wann immer ich konnte, auf einem Heuballen und sah ihnen zu. Mein Großvater und Daniel zogen einen bläulichen Film von den Neugeborenen und drückten ihnen die Nasen zusammen, bis sie sich blubbernd ins Leben blökten. Na, wie gefällt dir das?, fragte mein Großvater. Aber mir taten diese Lämmer ein bisschen Leid - was war das für eine Welt, in die sie da hineingeboren wurden, voller Schlamm und Regen und scharfer Zähne. Es schien sinnvoll, dass manche starben. Einige der Totgeborenen sahen überhaupt nicht wie Schafe aus - mehr wie klebrige braune Vögel mit gebrochenen Flügeln. Von diesen Totgeburten ging ein fauliger Geruch aus. Daniel legte sie in eine Schubkarre und verbrannte sie im Windschatten des Hauses. Aber sie gaben kein gutes Feuer bei diesem Wetter.
Und mein Großvater machte sich Sorgen.
Er fing an, in der Nacht herumzugehen; ich sah ihn im Hof stehen, als lausche er angestrengt. Instinkt vielleicht - derselbe Instinkt, der uns das Gefühl gibt, beobachtet zu werden, obwohl wir allein zu sein glauben. Er mischte Maiskolben unter das Heu. Er tat, was er konnte. Aber als der Regen endlich etwas nachließ, kam die Fußfäule.
Interdigitalphlegmone. Schützengrabenfüße bei Kühen. Ihre Hufe füllen sich mit faulig schwarzem Eiter; das Gewebe stirbt ab. Der Gestank ist unbeschreiblich. Drei Tage lang hielt ich mir mit zusammengekniffenen Augen die Nase zu. Und es war das erste Mal, dass ich einen Mann weinen hörte - meinen Großvater, hinter der Badezimmertür. Ich war verwirrt - war Schlamm wirklich etwas, weshalb man weinen konnte? Oder was sonst machte ihn so traurig? Ich begriff nur eines, wie ich da vor der Tür stand und horchte: dass Männer nicht zum Weinen gemacht waren. Es passte nicht zu ihnen. Sie waren, fand ich, für anderes gemacht.
Ich habe seither nur noch ein einziges Mal einen Mann weinen gehört. Es war zehn Jahre später, und wieder war es mein Großvater, aber diesmal im Krankenhaus; er stand unter der Neonröhre im Wartezimmer und hatte soeben aus meinem Mund erfahren, dass seine Frau gestorben war. Nein, sagte er immer wieder, nein. Er kam mir zart wie ein Blatt vor, als ich ihn in den Armen hielt.

Es war ein Dienstag. Ein Nieselregen und ein Wind, der so heftig durchs Haus fegte, dass die Vorhänge flatterten und Papierfetzen durch die Gegend flogen, hatten mich geweckt. Ich ging hinunter, fand die Haustür weit offen, schlüpfte in die Stiefel und ging im Morgenmantel hinaus.
»Was ist los?«, fragte ich.
Ich wurde hineingeschickt. Als ich protestierte, wurde ich angeschnauzt. Daniel schob mich ins Haus, ging zum Telefon und ließ seinen Zigarettengeruch hinter sich. Lewis schlug nach mir, als ich ihn bestürmte - hau ab! Dummes Ding! Ich trat in der Küche von einem Fuß auf den anderen und wusste nicht, was geschehen war und was getan werden konnte.
»Sterben die Kühe?«, schrie ich.
An diesem Tag kamen Fremde, um uns zu helfen - zumindest waren sie damals Fremde für mich. Die Küche wurde ein exotischer Ort, erfüllt von ungewohnten Gerüchen, dem Gemurmel walisischer Stimmen und dem Dampf von starkem, bitterem Tee. Ich lungerte unschlüssig in der offenen Tür herum. Männer mit Löchern im Pullover und stoppligem Kinn lehnten sich an unsere Wände, saßen in meinem Stuhl, und die Katze flüchtete sich unter mein Bett. Dr. Matthews war da, der Tierarzt, der Reverend, Mr. Wilkinson, und ich erkannte auch den Mann mit den grünen Augen, der in dem weißen Haus wohnte - wie hieß er nur? Wie ist das möglich, dass ich es vergessen habe? Wie nur? Ich hielt es für besser, mich zu verdrücken.
Ich verbrachte den Großteil des Tages im Stall bei den Lämmern oder hockte, das Kinn auf die Fensterbank gestützt, vorm Fenster, sah zu, wie die Rinder durch Formaldehyd-Bäder stolperten, und studierte die Hinteransicht des Tierarztes, der Hufe auskratzte und Pusteln aufstach.
Das Gesicht meines Großvaters eignete sich neue Runzeln an. Er entwickelte die Angewohnheit, sich langsam mit dem Zeigefinger über die Unterlippe zu fahren und die Augen zusammenzukneifen, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Ich wäre gerne zu ihm gegangen, hätte es ihm gerne leichter gemacht, so wie er mir nach meiner Grippe geholfen hatte. Aber was konnte ich schon tun mit acht?
Als Mrs. Maddox in die Küche kam, lief ich zu ihr. Sie war warm und rund und drückte mich an ihre weiche Brust.
»Schon gut, schon gut«, tröstete sie. »Wir haben alles im Griff, meine Süße. Sie werden auf eine andere Weide gebracht, wo es trockener ist, die Glücklichen.«
Was für eine andere Weide, dachte ich. Wir hatten keine anderen Weiden, die groß genug waren.
Am späten Nachmittag, als die Menge sich wieder zerstreut hatte, der Tierarzt heimgegangen war, der Seuchengeruch etwas nachgelassen hatte und alle Welt müde zu sein schien, trieben wir die Rinder die Straße hinunter. Mit schaukelnden Hälsen schleppten sie sich zu einem Gatter, das ich noch nie bemerkt hatte - es war hinter Brombeergesträuch und Weißdorn versteckt.
»Wem gehört das?«, fragte ich meine Großmutter. Sie seufzte.
»Ich weiß es nicht. Ich hab es nie gewusst. Es gehört weder uns noch Mrs. Maddox, aber es ist leer, und es ist meilenweit die einzige Weide, die nicht ein verdammter Sumpf ist.«
Sie hatte Recht. Das Wasser lief dort besser ab, und der Boden war nicht so aufgeweicht. Die Weide fiel zu einer Reihe von Buchen ab - nur Gras und Maulwurfshügel und ein Streifen von Nesseln am rechten Rand. Die Kühe trotteten hinein. Ich stand unglücklich im Regen.
Daniel stützte sich schwer aufs Gatter.
»Was bedeutet das?«, fragte ich ihn.
Es bedeutete, dass mein Großvater den Abend mit Rechnen zubrachte und sich dabei mit dem Handrücken die Augen rieb. Es bedeutete, dass meine Großmutter vor dem Schlafengehen Tabletten schluckte. Es bedeutete, dass ich an den folgenden beiden Abenden zu Mrs. Maddox zum Abendessen geschickt wurde, um nicht im Weg herumzustehen, und dass die Kühe wochenlang Zink bekamen. Sie fehlten mir, wenn ich zur alten Weide hinüberschaute. Und es bedeutete auch, dass ich am nächsten Tag, als ich die Kühe besuchen ging, die halb hinter Buchen versteckte, verfallene alte Scheune entdeckte. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 16.08.2005